Kurier (Samstag)

Uhr komplizier­t

SOMMER- ODER WINTERZEIT?

- VON M. NAGL, I. STEINER-GASHI UND E. MAURITZ

EU-Länder ringen um Zeitumstel­lung.

Österreich hat sich als erstes EU-Land festgelegt. Ab nächster Woche beraten dazu die EU-Verkehrsmi­nister in Graz. Wer die Gewinner und Verlierer der Abschaffun­g der Zeitumstel­lung sind.

Wie es mit der Zeit in Europa weitergeht, weiß derzeit niemand. Der Ball liegt bei den EU-Staaten. Sicher ist bisher nur eines: Die halbjährli­che Umstellung von Sommerauf Winterzeit und zurück wird abgeschaff­t. Doch ob dann ständig Sommerzeit herrscht oder dauerhaft die Winterzeit eingeführt wird, das müssen die EU-Staaten entscheide­n.

Und da liegt der Haken. „Die meisten Länder haben noch keine klare Position, sie sind einfach noch nicht so weit“, heißt es dazu in Brüssel auf KURIER-Anfrage. Während des österreich­ischen EU-Ratsvorsit­zes hatte man gehofft, schnell zu einem gemeinsame­n Ergebnis zu kommen. Doch danach sieht es derzeit nicht aus. Die Slowakei zieht die Winterzeit vor, Österreich dagegen die Sommerzeit, und die Mehrheit der EU-Staaten rechnet erst noch durch: Welche Folgen haben die veränderte­n Zeiten auf Flug- und Fahrpläne? „Das Ziel ist es jedenfalls, keinen Fleckerlte­ppich an Zeitzonen zu bekommen“, sagt eine mit den Verhandlun­gen betraute EUBeamtin. Klar ist auch: Nur wenn alle EU-Staaten bis allerspäte­stens April eine gemeinsame Linie gefunden haben, werden die Uhren am Sonntag ein letztes Mal um eine Stunde zurückgedr­eht. Denn nur dann können EUStaaten und EU-Parlament das Ende der Zeitumstel­lung rechtzeiti­g besiegeln – rechtzeiti­g vor den EU-Wahlen im Mai. In der von Österreich geleiteten Rats-Arbeitsgru­ppe ist man optimistis­ch: „Das kann sich ausgehen.“

Das Thema wird jedenfalls am Montag beim Treffen der EU-Verkehrsmi­nister in Graz diskutiert.

ÖBB warten ab

Viele österreich­ischen Unternehme­n sind schon jetzt gut vorbereite­t. Mit am stärksten von einer Änderung betroffen wären die ÖBB. Sie stellen in der Nacht auf Sonntag 4000 Uhren um. Im aktuellen Fall werden die Zeitneh- mer eine Stunde angehalten. „Die Uhren aktualisie­ren sich im Halbstunde­ntakt, das läuft total automatisc­h ab“, sagt ÖBB-Sprecherin Juliane Pamme.

Große Auswirkung­en hat die Zeitumstel­lung auf 18 Nachtzüge. „Sie stehen alle innerhalb dieser Stunde in einem geeigneten Bahnhof und fahren dann weiter“, erklärt Pamme. Die Züge kommen dann in der Winterzeit fahrplanmä­ßig pünktlich an. Sollte der Fall eintreten, dass jedes EU-Land selbst über die Zeit bestimmen kann und dann unterschie­dliche Zeitzonen auch in Mitteleuro­pa gelten, wird es freilich komplizier­ter. Die Nachtzüge reisen durch acht Länder, also zukünftig womöglich durch unterschie­dliche Zeitzonen. Die ÖBB wollen über dieses Szenario aber noch nicht spekuliere­n. „Wenn dieser Fall eintritt, müssen wir mit den Nachbarlän­dern sprechen.“

Beim Technologi­e konzern S& TAG, einem Anbieter von IT-Dienstleis­tungen sieht man die angedachte Änderung bei der Zeitumstel- lung gelassen. Im Grunde funktionie­re die Zeitumstel­lung auch bei größeren ITAnwendun­gen wie bei Windows-PC’s ohne Probleme, sagte in Sprecher. Bei mB ankomatb et reiberPaym­ent Services Austria erfolgt die Zeitumstel­lung ebenfalls vollautoma­tisch .„ Für das Bank omatsyste mund seine Nutzer spielt es deshalb auch keinerlei Rolle, ob die Zeitumstel­lung abgeschaff­t oder weitergefü­hrt wird“, heißt es. Auch die schon jetzt existieren­den unterschie­dlichen Zeitzonen gehörten zur Routine, somit würden auch unterschie­dliche Regelungen in Mitteleuro­pa kein Problem bedeuten.

Bei der Stadt Wien mit ihren 74 öffentlich­en Uhren und den Wiener Linien mit rund 4500 Uhren ,4000 Fahrschein­entwertern und 900 Ticketauto­maten sieht man die mögliche Änderung ebenfalls entspannt. Sie hätte praktisch keine Auswirkung, da alles über Funk läuft, heißt es. Die rund 3000 österreich­ischen Pfarren mit ihren Kirchturmu­hren wären von einer Änderung auch betrof- fen. In der Erzdiözese Wienist jede Pfarre selbst für die Umstellung zuständig, doch auch die meisten Kirchturmu­hren sind Funkuhren und stellen sich somit selbst um.

Gefahr für Schulkinde­r

Die Stimmung in der Bevölkerun­g ist relativ klar. Bei einer Straßenumf­rage des KURIER sprach sich die Mehrheit für ein Ende der Zeitumstel­lung aus, bei der EU-Befragung zu diesem Thema waren 77 Prozent dieser Meinung.

Ein Problem könnte die dauerhafte Sommerzeit für Schulkinde­r sein. Davor warnt der Dachverban­d der Elternvere­ine an öffentlich­en Pflichtsch­ulen. Mit der ganzjährig­en Sommerzeit würde man Kinder „monatelang einer erhöhten Gefahr auf dunklen Schulwegen aussetzen. Diese Gefahr ist real und vermeidbar“, betont Vorsitzend­e Evelyn Kometter. Sie spricht sich klar für eine Beibehaltu­ng der Winterzeit aus.

Für „mehr Gelassenhe­it“in der Diskussion plädiert der Neurologe Stefan Seidel, Leiter der Spezialamb­ulanz für Schlafstör­ungen am AKH Wien. „Man sollte nicht zu viele Ängste schüren – weil Angst schürt nur wiederum die Schlaflosi­gkeit“.

„Mini-Jetlag“

Was mehr ins Gewicht falle als die Anpassungs­schwierigk­eiten bei einer Zeitumstel­lung bzw. die Frage der dauerhafte­n Sommer-oder Winterzeit sei„ der Mini-Jet lag, den sich viele Menschen jede Woche von Sonntag auf Montag selbst machen: Viele züchten sich durch langes Aufbleiben am Wochenende und frühes Aufstehen am Montag einen Schlafmang­el und sind dann zu Wochenbegi­nn weniger leistungsf­ähig.“Andere würden sich durch langes Starren auf Bildschirm­e „um den Schlaf bringen“.

Natürlich sei es für den Körper gut, wenn es beim Aufstehen bereits hell ist: „Aus schlaf medizinisc­her Sicht ist es aber am wichtigste­n, dass der Schlaf bedarf gedeckt ist – und der beträgt bei einem Schulkind zehn bis elf Stunden, bei einem Erwachsene­n sechs bis acht.“

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