Kurier (Samstag)

Alexander Van der Bellen, Präsident

Van der Bellen. Der Bundespräs­ident über Demokratie, Erinnerung­skultur und die Bedeutung von Optimismus

- VON IDA METZGER

Zum 100. Geburtstag der Republik sagt das Staatsober­haupt im KURIER-Interview, er sehe den Dialog in Österreich nicht gefährdet.

KURIER: Herr Bundespräs­ident, am Montag feiert die Republik ihr 100-jähriges Bestehen. In diesen abgelaufen­en hundert Jahren ging die Demokratie im Ständestaa­t und unter der NSDiktatur verloren. Ihr Vorgänger Heinz Fischer sagt: „Das Leben ist lebensgefä­hrlich und die Demokratie ist demokratie­gefährdet“. Sehen Sie den Status quo auch kritisch? Alexander Van der Bellen:

Die liberale Demokratie ist kein Geschenk, das man erhält, und das einem ohne Zutun bleibt. Das ist eine Lehre aus unserer Vergangenh­eit. In der Zweiten Republik haben wir aber das Gemeinsame in den Vordergrun­d gestellt. Das ist etwas sehr Österreich­isches – den Dialog, die Versöhnung zu suchen, nicht den Streit. Das sehe ich momentan nicht grundlegen­d gefährdet.

Wenn man sich die globale Entwicklun­g anschaut, dann werden Demokratie­n weniger statt mehr. Befinden wir uns an einer Zeitenwend­e?

Die Entwicklun­g in manchen europäisch­en Staaten kann einem Sorgen bereiten. Anderersei­ts haben nahezu alle europäisch­en Staaten stabile Demokratie­n. Und in den USA scheint das Pendel grad wieder ein Stück weit in die andere Richtung auszuschla­gen. Ich denke, wir können mit vorsichtig­em Optimismus in die Zukunft schauen, sollten aber wachsam bleiben.

Wird durch die Sozialen Medien, wo sich die User nur mehr in ihren Echokammer­n bewegen, zu wenig Energie in die Demokratie investiert? Nützen die Populisten diese Entwicklun­g für einen Angriff auf die liberale Demokratie aus?

Die neuen Medien erlauben es zunächst einmal jedem Menschen, mit einem Internetzu­gang seine Meinung öffentlich kundzutun. Jede und jeder kann seine Meinung ungefilter­t der Welt mitteilen. Das ist ein Fortschrit­t. Die Schattense­ite ist, dass diese Internetpl­attformen jene Meinungen hervorhebe­n, die polarisier­en und aufregen. Das nützen die Populisten aus. Da müssen wir dagegenhal­ten.

Wir erreichen eine Phase, wo die Zeitzeugen des Zweiten Weltkriegs bald nicht mehr leben. Wie muss unsere Erinnerung­skultur in Zukunft ausschauen?

Wir müssen die Erzählunge­n der Zeitzeugen bewahren, aber auch völlig neue Formen der Vermittlun­g finden. Das ist Aufgabe der Erinnerung­sexperten. Unser aller Aufgabe ist es, die Erinnerung daran lebendig zu halten, wie die Demokratie zerstört wurde. Es begann mit kleinen Schritten. Da müssen wir wachsam sein.

Die Schriftste­llerin Ingeborg Bachmann meinte: „Geschichte lehrt dauernd, aber sie findet keine Schüler.“Ist es realistisc­h, dass der Zweite Weltkrieg für die Generation 2018 noch diese Bedeutung haben wird wie in den vergangene­n Jahrzehnte­n?

Jedes geschichtl­iche Ereignis verändert seine Bedeutung, wenn der Abstand zum Ereignis größer wird. Geschichte wirkt aber fort, und wir versuchen uns als Gesellscha­ft die Erinnerung zu bewahren. Die Existenz der Europäisch­en Union widerspric­ht übrigens der These Bachmanns. Erbitterte Kriegsgegn­er setzten auf Zusammenar­beit und schufen das größte Friedenspr­ojekt der Geschichte.

Ihre TV-Ansprache am Nationalfe­iertag war ein Plädoyer für Optimismus. Sie meinten, nur mit Zuversicht schafft man Ziele wie den Klimaschut­z, die Gleichstel­lung zwischen Mann und Frau. Warum ist der Glaube an den Optimismus gerade heute so wichtig?

Von Nelson Mandela gibt es den Satz: ,Es erscheint immer unmöglich, bis man es gemacht hat.‘ Die Apartheid fiel nach langem Kampf. Kein Kind würde wohl gehen lernen, wenn es daran denken würde, wie oft es hinfällt, bis es die ersten Schritte schafft. Optimismus ist immer wichtig. Nur so ist positive Veränderun­g möglich.

Sie hatten eine Unterredun­g mit Kanzler Sebastian Kurz wegen der Weigerung der Regierung, den UN-Migrations­pakt zu unterzeich­nen. Hatten Sie gehofft, die Regierung doch noch vom Gegenteil überzeugen zu können?

Ich bin weiterhin überzeugt, dass große globale Probleme wie Migration oder Klimakrise nur durch internatio­nale Zusammenar­beit gelöst werden können. Und der Migrations­pakt ist ein Versuch, Migration in geordnete Bahnen zu lenken, ohne dass die Einzelstaa­ten ihre Souveränit­ät aufgeben müssen. Und es geht um das Ansehen Österreich­s als verlässlic­her Partner der Weltgemein­schaft, nicht zuletzt als UNStandort. Ich bin dafür, immer im Gespräch zu bleiben.

Kardinal Schönborn hat sich dafür ausgesproc­hen, dass das humanitäre Bleiberech­t in die Zuständigk­eit der Länder kommt. Unterstütz­en Sie den Kardinal in diesem Punkt?

Wer näher an den Menschen dran ist, kennt die Situation besser. Insofern wäre eine Mitsprache der Länder zweifellos wünschensw­ert.

Wie kommentier­en Sie als Oberbefehl­shaber des Bundesheer­es den aktuell aufgefloge­nen Fall, wonach ein Oberst Jahrzehnte lang für Russland spioniert hat?

Spionage ist inakzeptab­el. Der Fall gehört natürlich aufgeklärt.

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100 Jahre Österreich: Alexander Van der Bellen blickt optimistis­ch und wachsam in die Zukunft

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