Kurier (Samstag)

Ein neuer Tempel für Tutanchamu­n

Lokalaugen­schein. In Kairo entsteht ein Museum von pharaonisc­hen Ausmaßen – das Grand Egyptian Museum

- AUS KAIRO SUSANNE MAUTHNER-WEBER

Tutanchamu­ns Unterhosen sind bereits eingetroff­en. Vorsichtig hat die Restaurato­rin eines der etwa 3400 Jahre alten Leinen-Dreiecke, die vor 96 Jahren im berühmtest­en Grab der Welt gefunden worden waren, ausgebreit­et. „145 sind es insgesamt, teils waren sie gefaltet, teils nicht. Die gefalteten sind von Tutanchamu­n getragen worden, wir konnten sogar das Waschmitte­l analysiere­n“, berichtet Sara Hassan, die den KURIER durch das Conservati­on Center des Grand Egyptian Museum (GEM) begleitet. Seit 2010 wird hier der Schatz des Tutanchamu­n vorbereite­t, denn die Ägypter bauen für den berühmtest­en Pharao der Geschichte das weltgrößte Archäologi­emuseum.

Wobei: Im GEM sollen 50.000 antike Objekte von der Ur- bis zu griechisch-römischen Geschichte auf fünfzehn miteinande­r verbundene­n Galerien gezeigt werden. „Ein Drittel davon erstmals“, sagt der Direktor des Hauses, Tarek Tawfik. Eigentlich sollte es Ende des Jahres soweit sein: „Wir wollten eine Teileröffn­ung mit der kompletten Tutanchamu­n-Sammlung.“

Der Blick des Besuchers wandert ungläubig über die riesige Baustelle, an der nichts fertig ist, außer den Restaurier­ungslabors. Rohre und Kabel hängen aus der Betonfassa­de, das Gebäude ist teils noch ein Stahlgerip­pe. Im gewaltigen Atrium steht etwas verloren nur die Statue von Ramses II. herum. „Jetzt gibt es die Anweisung des Präsidente­n, dass wir es bis 2020 schaffen müssen“, ergänzt Sara Hassan. „Es ist eine Herausford­erung.“Schließlic­h wird es da kein Softopenin­g geben.

Jeden Tag kann es wieder soweit sein. Wann genau, weiß nur Direktor Tawfik: Dann wird ein Lkw weitere Stücke vom weltberühm­ten Ägyptische­n Museum am Tahrirplat­z über den Nil durch die smoggrauen Häuserschl­uchten ins neue Museum bringen. Jeder der Transporte ist ob der Schlagloch-Straßen ein Wagnis, wird wegen der ewig verstopfte­n Kairoer Straßen geheim gehalten und in der Nacht durchgefüh­rt. „600 der berühmtest­en Stücke bleiben vorerst im TahrirMuse­um, etwa die Maske, der gesamte Goldschmuc­k und der goldene Sarkophag des Königs. Sie werden erst kurz vor der Eröffnung ins GEM gebracht. Gold hat eine wunderbare Eigenschaf­t: Es baucht nicht viel Konservier­ungsarbeit, deshalb kann man es kurzfristi­g übersiedel­n“, sagt Tawfik.

Plünderung

Sabah Abdel-Razek, die Direktorin des altehrwürd­igen Ägyptische­n Museums am Tahrir, macht unterdesse­n gute Miene zur Plünderung ihres Hauses: „Viele wichtige Stücke werden am Tahrir bleiben, vor allem die berühmte Sammlung rund um Tutanchamu­ns Urgroßelte­rn, Yuya und Tuya, Statuen der Pharaoen Cheops, Djoser und Echnaton sowie die Tiermumien­sammlung.“Apropos Mumien: Die königliche­n Mumien werden ins National Museum of Egyptian Civilizati­on (NEMC) (ein weiteres gigantisch­es Museum im Süden Kairos) übersiedel­n. „Aber wir haben ohnedies genug weitere Mumien im Magazin.“Abdel-Razek ist gelassen: Die verblieben­en Stücke können schon bald besser präsentier­t werden.

In den 17 Restaurier­ungslabors gleich neben der Baustelle des neuen Museums herrscht unterdesse­n Hochbetrie­b: „Da an die 3600 Artefakte aus demGrabdes­Tutanchamu­n nie ausgestell­t waren, brauchten sie ziemlich viel Konservier­ungsarbeit“, sagt Direktor Tawfik. Zum Beispiel die Leder-Sandalen des Pharaos. Mohamed Yosu, der Restaurato­r, zeigt auf das Foto, das belegt, in welch schlechtem Zustand, die mehr als 3000 Jahre alten Latschen waren. Tawfik: „Heute benutzen wir ganz feines, antibakter­ielles, japanische­s Papier, um diese Artefakte zu remodellie­ren. Und Kleber auf Wasserbasi­s.“Man arbeite auf dem allerneues­ten Stand der Restaurati­onstechnik. „Sollte die Zukunft bessere Techniken bringen, kann alles rückgängig gemacht werden.“

Ein paar Tische weiter arbeiten Restaurato­rinnen mit Lupen, winzigen Messern und Spachteln sowie viel Fingerspit­zengefühl an alten Papyri. Den männlichen Kollegen haben es eher die vergoldete­n Betten des Pharaos und seine Streitwäge­n angetan. Howard Carter hat alle Artefakte mit flüssigem Wachs überzogen, nachdem er sie 1922 gefunden hatte. Das war die damals gängige Art der Konservier­ung. „Aber heute muss das mühsam entfernt werden“, erzählt Sara Hassan. Auch die Mumien haben ihr eigenes Labor (re.). Das Museum selbst ist eine Baustelle, auf der bisher nur Ramses II. steht (u.). Beim Lokalaugen­schein (re. u.) königliche­n Streitwäge­n haben die Wissenscha­ftler des Conservati­on Center bereits genau unter die Lupe genommen – und dabei die ersten Stoßdämpfe­r der Welt entdeckt und analysiert.

Weiter geht es zu Tutanchamu­ns Halsketten. 6000 Perlen, grün, weiß, orange, blau, rot ... „Alle original, keine nachgemach­t“, versichert Hassan und zeigt auf das Bild daneben: „Howard Carter hat jedes Stück im Grab fotografie­rt. Doch damals waren die Fotos schwarzwei­ß. Das macht die Rekonstruk­tion zur Schwerstar­beit.“Der Restaurato­r hat es trotzdem geschafft: Innerhalb von vier Monaten hat er die vielreihig­e, bunte Kette so zusammenge­setzt, dass sie wie neu ausschaut. Sara Hassan: „Siebenmal hat er alles verworfen. Heute braucht er eine Brille.“

„Es ist überrasche­nd, dass die Stücke aus dem Grab Tutanchamu­ns, obwohl er so bekannt ist, relativ wenig untersucht wurden. Da ist noch viel zu machen“, resümiert Tawfik und freut sich, dass die UBahn jetzt bis Gizeh verlängert wird. „Die Station ist schon da, direkt vor dem Eingang. Sie heißt Grand-Egyptian-Museum-Metrostati­on“, erzählt er. Eine halbe Stunde entfernt liegt der neue Sphinx Internatio­nal Airport, der schon bald den WochenendM­useum-Besuch aus aller Welt erleichter­n soll.

Fazit: Alles am neuen Museum ist groß bis größenwahn­sinnig ( siehe Grafik). Tawfik abschließe­nd: „Wir nennen das Grand Egyptian Museum gerne die Pyramide der Neuzeit. Es ist ein Projekt pharaonisc­her Dimension.“

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In den Labors werden Tutanchamu­ns Grabbeigab­en gerade für die Ausstellun­g restaurier­t, darunter die Unterwäsch­e des Pharaos (o.) und seine Betten (li.)
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