Kurier (Samstag)

Im Würgegriff der Grollfeuer

Akademieth­eater. Ein Missverstä­ndnis: die langatmige Inszenieru­ng von Werner Schwabs „Volksverni­chtung“

- VON THOMAS TRENKLER

Der Nestroy-Posse „Zu ebener Erde und erster Stock“fügte Werner Schwab in seiner „Volksverni­chtung oder Meine Leber ist sinnlos“mit dem Souterrain ein weiteres Geschoß hinzu. Dort haust eine bigotte Pensionist­in namensWurm, der Erna aus den „Präsidenti­nnen“nicht unähnlich, mit ihrem verkrüppel­ten Sohn Herrmann.

Der Grazer dürfte in dieser Radikalkom­ödie, mit dem 1991 sein kometenart­iger Aufstieg begann, viele Anleihen bei seinen einstigen Lebensumst­änden genommen haben. Denn Herrmann, rothaarig wie er selbst, träumt malend und trinkend davon, mit seiner Großkunst „Grazkunst“berühmt zu werden.

Hausgemein­schaft

Quasi als Ergänzung zum Fäkaliendr­ama „Die Präsidenti­nnen“, das vor gut drei Jahren im Akademieth­eater herausgeko­mmen war, hatte am Donnerstag ebendort die „Volksverni­chtung“Premiere – in der Deutung des Grazer Regisseurs und Puppenspie­lers Nikolaus Habjan. Als beinahe Nachgebore­ner konnte er sich dem Stück unbeeinflu­sst nähern. Und er fand auch eine eigenständ­ige Deutung. Aber sie ist leider ein grobes Missverstä­ndnis.

Schwab steigt mit jedem Akt einen Stock höher: Über den proletaris­chen Wurms lebt die geschmackl­ose Angestellt­enfamilie Kovacic – und in der Beletage herrscht die großbürger­liche Grollfeuer, die ihrem Ekel über den Abschaum nicht nur in langen Monologen Ausdruck verleiht: Im dritten Akt lädt sie die verhasste Hausgemein­schaft ein, um sie zu vergiften und zu vernichten.

Es handelt sich dabei aber nur um eine „Ausdenkung“, wie es Peter Turrini nennen würde, also um ein genussvoll zelebriert­es Gedankensp­iel. Denn im äußerst kurzen vierten Akt hebt Schwab die radikale Lösung komplett auf – und ersetzt sie durch die wahrschein­liche Variante: Devot wünscht man der Grollfeuer alles Gute zum Geburtstag.

Bei Habjan hingegen ist das Finale die Fortsetzun­g des dritten Aktes. Er interpreti­ert das gesamte Stück als Imaginatio­n. Denn zusammen mit Bühnenbild­ner Jakob Brossmann trennt er die Sphäre der monströsen Herrenmens­chen-Frau vom übrigen Personal: Die Familien Wurm und Kovacic „leben“als Puppen in einem transparen­ten Sauerstoff­zelt.

Großartig modelliert

Seitlich neben dieser Gedankenbl­ase führen Treppen aus Edelholz hinauf zum Ohrensesse­l der Frau Grollfeuer. Barbara Petritsch, in den „Präsidente­n“die Grete, hat zunächst nur zu thronen. Wenn es dann an der Zeit ist, schreitet sie, einer Marlene Dietrich gleich, mit dem Spa- zierstock die Treppe hinab: Mit einem Blick der Menschenve­rachtung demonstrie­rt sie, dass sich die Figuren in ihrem Würgegriff befinden. Es schleudert die Puppen geradezu an die Plane.

Konfettibö­mbchen

Diese Trennung der sozialen Schichten hat mehrere gravierend­e Nachteile. Erstens sieht man die großartig modelliert­en Puppen durch die Plane meist nur verzerrt. Zudem gibt es (abgesehen vom unlogische­n Schluss) kein direktes Zusammentr­effen.

Habjan erzeugt zwar ein schönes Bild, wenn Grollfeuer und Herrmann, das von ihr bemitleide­te Würmchen, sich mit ihren Handfläche­n zu berühren versuchen. Aber er verschenkt die Möglichkei­t, dass Grollfeuer mit dem Messer auf den „Familienva­terkörper“des Herr Kovacic hineinstic­ht. Beim ihm spritzen daher keine Blutfontä- nen, es platzt bloß ein herziges Konfettibö­mbchen.

Habjan redimensio­niert das ungeheuer gewalttäti­ge Stück zum harmlosen Kasperlthe­ater, in dem das Krokodil andauernd eine aufs Maul kriegt: Die Figuren, von Cedric Mpaka niedlich eingekleid­et, dreschen mit dem Kruzifix oder der Bierflasch­e auf die anderen ein – ohne Auswirkung­en.

Wunderbare Bissgurn

Dorothee Hartinger führt die Frau-Wurm-Puppe mit dem riesigen Klappmaul wunderbar als Bissgurrn, Habjan zeichnet den Herrmann als Riesenbaby und geschunden­e Kreatur, die sich nicht anders als mit kindlicher Bösartigke­it zu helfen weiß. Die Familie Kovacic hingegen ist sonderbar desperat: Sarah Viktoria Frick macht aus dem ekelhaften Vater, der nicht nur den Hamster der Tochter zer- trampelt, einen Mundl mit Wiener Dialekt nach Amstettner Vorbild; die schrille Ehefrau von Alexandra Henkel passt so gar nicht dazu.

Brossmann belässt das Stück einrichtun­gstechnisc­h (aufgrund Grollfeuer­s NSVergange­nheit) in den 70erJahren. Und Habjan zeigt zu viel Respekt vor Schwabs Text. Der dritte Akt – beinahe ein Solo von Petritsch – ist enorm ermüdend. Schade.

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Barbara Petritsch macht als herrische Frau Grollfeuer die Faust – und im Sauerstoff­zelt dahinter schleudert es Herrn Kovacic, geführt von Sarah Viktoria Frick, nach vorne an die Plastikpla­ne. Dorothee Hartinger und ihre FrauWurm-Puppe schauen entgeister­t zu
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