Kurier (Samstag)

Afrikas Entwicklun­g völlig verschlafe­n

Kooperatio­n. „China hat uns Europäern den Rang abgelaufen“, sagt Afrika-Netzwerker Hans Stoisser

- KURIER-SERIE VON H. SILEITSCH-PARZER

KURIER: In welchem Jahr ist das österreich­ische Afrika-Bild stecken geblieben? Hans Stoisser: 1984. Damals berichtete BBC über die Hungerkata­strophe in Äthiopien mit Hunderttau­senden Toten. Die Bilder der Hungerbauc­hkinder gingen um die Welt.

Und das haben wir 2018 immer noch vor Augen?

Wenn wir Afrikaner in Schlauchbo­oten sehen, wirken die Bilder nach. Wir glauben, diese Menschen kommen nach Europa, weil alles schlechter wird. Das Gegenteil ist der Fall: Es gibt eine vernetzte, globale Gesellscha­ft und es können sich mehr Menschen die Reise leisten.

Welchen Anteil haben wir Medien an dem verzerrten Bild?

Wenn ein Journalist nach Afrika fährt, dann berichtet er entweder im Auftrag einer NGO, wie schlecht die Zustände sind. Oder für ein Reisebüro, wie superschön es ist. Die Realität dazwischen wird kaum wahrgenomm­en.

Sie sind seit 30 Jahren auf dem Kontinent unterwegs. Wie sieht das Afrika aus, das Sie erleben?

Armut existiert, aber sie geht zurück. Durch den Aufschwung entsteht eine Mittelschi­cht, die ihr Leben verbessern kann und will. Aus diesen 300 bis 400 Millionen Menschen werden in kurzer Zeit eine Milliarde werden. Diese unglaublic­he Dynamik sollten wir ermögliche­n und mitgestalt­en. Geopolitis­ch hat Europa das Spiel um die Vorbildfun­ktion bereits verloren. China hat uns den Rang abgelaufen.

Warum ist Europa so spät dran?

Wir haben nicht registrier­t, wie sehr die digitale Revolution Afrika verändert. Zudem ist aus der Entwicklun­gshilfe eine Industrie entstanden, die natürlich auch Eigeninter­essen verfolgt und auf alten Mustern beharrt.

Wen meinen Sie da konkret?

Ich meine damit nicht nur private NGOs, sondern auch die staatliche Entwicklun­gshilfe. Daraus entstehen natürlich auch gute Projekte, aber es steckt ein falsches Anreizsyst­em dahinter. Das ist der Entwicklun­g in Afrika nicht förderlich, sondern hinderlich.

Sehen Sie ein Umdenken? Mehr Kooperatio­n statt Almosen?

Genau darum geht es. Längerfris­tig funktionie­ren vor allem Wirtschaft­sbeziehung­en nachhaltig. Politik sollte den Rahmen schaffen. Offenbar will man unter dem Eindruck des Migrations­drucks jetzt dorthin kommen.

Sind uns dabei die Chinesen nicht uneinholba­r voraus?

Die Chinesen hatten in Afrika anfangs ein sehr negatives Image. Das hat sich rasch gewandelt, weil sie Infrastruk­tur geschaffen haben, etwa die Bahnlinien Dschibuti–Addis Abeba oder Mombasa–Nairobi. Das gerät jetzt wieder ins Kippen. Als Kenias Präsident Uhuru Kenyatta im September vom Gipfel mit Xi Jinping zurückkam, schlug ihm eine Welle der Kritik entgegen. Man redet viel von der Schuldenfa­lle, weil alles mit Milliarden-Krediten finanziert ist. In Sambia gab es einen Aufschrei, als die Chinesen die Stromgesel­lschaft übernehmen wollten.

Die EU rühmt sich, der größte Geldgeber in Afrika zu sein und die großzügigs­ten Zollregeln zu gewähren. Was ist falsch dran?

Bisher hat die EU eine schizophre­ne Politik betrieben. Viele Milliarden Euro sind in die Entwicklun­gspolitik geflossen, die getan hat, als habe sie nur afrikanisc­he Interessen im Auge. Zugleich schlossen andere Leute beinharte Handelsver­träge ab. Womöglich wurde so just jene lokale Hühnerindu­strie gefördert, die wegen der europäisch­en Importe ohnehin keine Chance hatte.

Wie lässt sich das vermeiden?

Wir Europäer sollten aufhören, Afrikas Probleme lösen zu wollen. Das machen die Afrikaner schon selbst. „Co-creation“ist das Zauberwort: Wir sollten Angebote für Partnersch­aften machen – in unserem eigenen Interesse. Wirtschaft gilt oft als böse, weil sie auf Gewinne abzielt. Dabei ist der Zweck jedes Unternehme­ns, einen Wert für die Kunden zu generieren. Somit steckt darin immer ein Entwicklun­gsaspekt.

Haben Sie konkrete Beispiele?

Es gibt Solaranlag­en, die armen ländlichen Haushalten erstmals Stromzugan­g ermögliche­n. Diese Menschen zahlen über ihre Handy-SIMKarte eine kleine monatliche Rate zurück, am Ende gehört ihnen die Anlage. Sie ersparen sich so viel Geld für Brennholz und Benzin. In Ruanda gibt es Cargo-Drohnen, die Medikament­e oder Blutkonser­ven in entlegene Gegenden f liegen. Und man braucht kaum noch Bargeld – in vielen Ländern zahlt man mit M-Pesa, mit „mobile money“. Das Geld wird vom Handy-Guthaben abgebucht. Dasfunktio­niert auf jedem Straßenmar­kt.

 ??  ?? Medikament­e-Automat in Südafrika: Die Rücksprach­e mit dem Apotheker erfolgt über einen Videochat
Medikament­e-Automat in Südafrika: Die Rücksprach­e mit dem Apotheker erfolgt über einen Videochat

Newspapers in German

Newspapers from Austria