Kurier (Samstag)

Gleiches Recht für alle Menschen?

70. Geburtstag. Die allgemeine Erklärung der Menschenre­chte liest sich wie ein Wunschzett­el, nicht wie die Realität Brandstätt­ers Blick

- VON HELMUT BRANDSTÄTT­ER

Es ist nur ein Büchlein, eine Präambel und 30 Artikel. Aber wenn sich alle Staaten an die Bestimmung­en hielten, hätten wir einen kleinen Vorgeschma­ck auf das Paradies auf Erden. Verabschie­det von der UNO-Generalver­sammlung am 10. Dezember 1948 wird in klaren Worten festgelegt, wie die Rechte und die Würde der Menschen „Grundlage für Freiheit, Gerechtigk­eit und Frieden bilden“– oder eben eher bilden sollten.

Unter dem Eindruck des Zweiten Weltkriegs, der Schoah und anderer großer Verbrechen hat die UNO Anweisunge­n beschlosse­n, wie die Staaten ihre Bürger behandeln sollten. „Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren“sagt Artikel 1. Die Sowjetunio­n und andere kommunisti­sche Länder enthielten sich der Stimme, obwohl ihre Forderunge­n wie das Recht auf Arbeit aufgenomme­n worden waren.

Menschenre­chte und Terror

In schöne Worte gegossen wurden die Menschenre­chte davor schon mehrfach, etwa in der Unabhängig­keitserklä­rung der Vereinigte­n Staaten 1776 oder der Erklärung der Menschen- und Bürgerrech­te durch die französisc­he Nationalve­rsammlung im August 1789. Die Gewalttate­n der revolution­ären Jahre haben die 17 vom Gedanken der Aufklärung inspiriert­en Artikel aber auch nicht verhindert. Joseph Fouche, vom radikalen Jakobiner bis zum Diener Napoleons allen Regimen zu Diensten und blendend beschriebe­n von Stefan Zweig: „Heilsamer Terror ist der Befehl des Tages.“

Der Europarat hat seine Europäisch­e Menschenre­chtskonven­tion (EMRK) vom Jahr 1950 abgesicher­t: Durch den Gerichtsho­f für Menschenre­chte in Straßburg. Seine Urteile betonen regelmäßig, dass der Sinn der EMRK die praktische und effektive Umsetzung von Rech- ten ist. In Österreich ist die EMRK im Verfassung­srang, wobei die FPÖ im letzten Wahlkampf aus angebliche­n „Souveränit­ätsgründen“Zweifel an ihr angemeldet hat. Im Übrigen gilt bei uns auch die Charta der Grundrecht­e der Europäisch­en Union.

Die Arabische Liga hat ihre eigene Arabische Charta der Menschenre­chte verabschie­det, die 2008 in Kraft getreten ist. Die darin vorgesehen­en gleichen Rechte von Mann und Frau sind ebenso wenig einklagbar wie das Verbot der Folter.

Der türkische Präsident Erdoğan hat angekündig­t, dass er künftig Urteile aus Straßburg nicht akzeptiere­n wird. Damit hat sich das Thema Türkei für die EU endgültig erledigt. Wie fragil die Achtung der Menschenre­chte auch innerhalb der EU ist, erleben wir gerade, und vielleicht ist das nur der Anfang. Jede Form von Diskrimini­erung ist verboten, aber Polen verzögert bereits die Umsetzung der Charta, in Italien spricht der Innenminis­ter mit offenem Rassismus über Roma, und um die Pressefrei­heit muss man sich nicht nur in Ungarn Sorgen machen.

Künftige Generation­en

Internatio­nale Klimagipfe­l wie jener gerade in Kattowitz machen uns auch darauf aufmerksam, dass nicht nur die Rechte der gerade lebenden Menschen geschützt werden müssten. In Sonntagsre­den wird von allen Parteien beteuert, dass wir die Erde nur von den nachfolgen­den Generation­en geborgt haben. So verstoßen wir regelmäßig gegen alle Vorschrift­en der Unantastba­rkeit fremden Eigentums.

Aber wir werden uns noch intensiver mit der Frage beschäftig­en müssen, was denn einen Menschen ausmacht. Aus heutiger Sicht scheint das klar zu sein. Wir sind das Ergebnis einer natürliche­n Evolution von Millionen Jahren, das sich über die anderen Säugetiere zunächst durch den aufrechten Gang, besondere Fähigkeite­n, vor allem aber durch ein Bewusstsei­n hinaus entwickelt hat.

Wie gesagt: Das war eine natürliche Evolution, in die der Mensch bisher nicht eingreifen konnte. Aber jeder Versuch, der das Genom, also unser Erbgut verändert, ist ein künstliche­r Eingriff mit bis dato unabsehbar­en Folgen.

Der Sapiens verliert Kontrolle

Der israelisch­e Historiker Yuval Noah Harari befürchtet in seinem Buch „Homo Deus“, dass der Mensch die Kontrolle über seine Erfindunge­n verliert, und stellt die Frage: „Wie bedrohen Biotechnol­ogie und künstliche Intelligen­z den Humanismus?“Dazu kommt die grundsätzl­iche Frage, ob wir Menschen wirklich über jenen freien Willen verfügen, auf den wir so stolz sind. Biochemisc­he und emotionale Beeinfluss­ungen werden immer genauer erforscht.

Harari: „Die Zeitbombe liegt im Labor.“Sie liegt in der medizinisc­hen Forschung, wenn neue Organe aus Menschen „Superhuman­s“machen könnten, bei genetische­n Experiment­en, von denen wir erst kürzlich aus China hörten, und in der künstliche­n Intelligen­z, wo Maschinen einmal uns Menschen steuern könnten statt umgekehrt. Aber noch haben es die Menschen in der Hand, was aus ihnen und aus der Erde wird. Die Rechte, wonach wir alle gleich viel wert sind, sind lange erfunden, die Umsetzung noch nicht.

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