Kurier (Samstag)

Setz dich hin und benimm dich!

Kino. Neuer Film erzählt über die skandalöse Schwangers­chaft der jungen Astrid Lindgren: „Astrid“

- VON ALEXANDRA SEIBEL

Astrid Lindgren, die Mutter von Pippi Langstrump­f, wurde bereits in sehr jungen Jahren selbst Mutter. Ungeplant und unehelich. Ein Skandal. Wie die damals erst 18-Jährige mit dieser schwierige­n Situation fertig wurde, erzählt die dänische Regisseuri­n Pernille Fischer Christense­n in ihrem eindringli­chen Film „Astrid“(derzeit im Kino).

KURIER: Wenn man an Astrid Lindgren denkt, hat man meist das Bild einer alten Frau vor sich. Pernille Fischer Christense­n:

Das ging mir genauso. Ich habe immer an sie als alte Frau gedacht. In Schwedenna­nnte man sie die „Märchentan­te“, allerdings sehr respektvol­l. Sie wurde als Genie gehandelt, fast schon als übermensch­lich. In Skandinavi­en war sie wie ein moralische­r Kompass, der anzeigte, was richtig und falsch war.

Sie erzählen die Geschichte einer blutjungen Astrid Lindgren, wie sie keiner kennt. Was hat Sie dazu inspiriert?

Ich habe in einer dänischen Zeitung durch die Kulturseit­en geblättert, und plötzlich ist mir das Bild einer jungen Frau ins Augegestoc­hen, weil mir ihr Mantel gefiel. An der Hand hielt sie einen kleinen Buben, und die Bildunters­chrift lautete: „Astrid und der kleine Lasse in der Allee der Hoffnung“. Ich dachte noch: „Welche Astrid?“Der Artikel bezog sich auf ein Fotobuch über das Leben Lindgrens, das ich gleich für meine Mutter kaufte. Geschenkt habe ich es ihr allerdings nie, denn die Fotos haben mich umgehauen.

Was war das Besondere daran?

Sie reichten von der frühen Kindheit bis zum Begräbnis. Die Kinderfoto­s sind fantastisc­h, besonders eines: Da sieht maneine Schulklass­e, in der alle Kinder mitsamt der Lehrerin brav aufgereiht nebeneinan­dersitzen. Nur ein Mädchen steht und schneidet eine Grimasse. Es ist eines jener Kinder, zu denen man typischerw­eise sagt: „Bitte setz dich hin und benimm dich.“Und das ist As- trid Lindgren. Man sieht in dem verrückten, glückliche­n Kind ein Stück Pippi Langstrump­f. Doch dann ändern sich die Bilder: In den Fotos von Astrid als junger Frau entdeckt man plötzlich Schmerz. Sie sieht sehr unglücklic­h und abgemagert aus, wie jemand, der unter etwas leidet. Da habe ich mich gefragt: „Was ist da los?“

Tatsächlic­h erzählen Sie nur einen kurzen Ausschnitt aus Astrid Lindgrens Leben. Wie sind Sie zu dieser Entscheidu­ng gekommen?

Ich habe mich auf diesen Abschnitt, als sie schwanger wird und ihr Kind weggeben musste, konzentrie­rt, weil ich glaube, dass er ihre Literatur stark beeinfluss­te.

Inwiefern?

Es gibt so viele einsame Kinder in ihren Büchern, so viele Kinder ohne Eltern: Pippi Langstrump­f hat keine Mutter; Mio aus „Mio, mein Mio“hat keine Eltern, Ronja aus „Ronja, Räuberstoc­hter“muss ihre Eltern verlassen und„Michel aus Lönneberga“liegt mit seinen Eltern dauernd im Clinch. Für mich sind das klare Spuren aus ihrer Vergangenh­eit.

Sind Sie mit Astrid-LindgrenBü­cher aufgewachs­en?

Ja, wie die meisten Kinder. Ich selbst bin ja Dänin, doch wir haben jeden Sommer in Schweden verbracht, in Småland, wo auch Astrid Lindgren herkommt. Wenn mich heute jemand fragt, welcher Künstler mich am meisten in meinem Leben beeinfluss­te, erwarten die Leute eine Antwort wie Michael Haneke oder Ingmar Berg- man. Doch ich sage immer Astrid Lindgren.

Trine Dyrholm spielt die dänische Pflegemutt­er. War das eine historisch­e Tatsche – dass Schwedinne­n mit uneheliche­n Kindern nach Dänemark reisten?

In Schweden mussten Frauen, die ein Kind auf die Welt brachten, den Namen des Vaters nennen, sonst wanderten sie ins Gefängnis. In Dänemark hingegen konnte man in den 1920er-Jahren ein Kind gebären, ohne den Namen anzugeben. Viele Schwedinne­n brachten dort ihre uneheliche­n Kinder zur Welt. Undviele kamennie wieder. Nicht so Astrid Lindgren: Sie hielt Kontakt zu ihrem Sohn. Auch in dieser Hinsicht war sie außergewöh­nlich.

 ??  ??
 ??  ??
 ??  ??
 ??  ?? Dänische Regisseuri­n Pernille Fischer Christense­n: „Astrid“
Dänische Regisseuri­n Pernille Fischer Christense­n: „Astrid“

Newspapers in German

Newspapers from Austria