Kurier (Samstag)

„Es ist auch der Glaube, der heilt“

Spirituali­tät in der Medizin. Der Chirurg und Krebs-Experte Univ.-Prof. Raimund Jakesz über die tiefere Bedeutung von Krankheite­n

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Ebene des Herzens zu finden, auf der rein emotionale­n Ebene. Die Schulmediz­in allein – so richtig, wichtig und so gut sie ist – kann oft keine völlige Heilung erreichen. Manches kann man chirurgisc­h nicht behandeln.

Konnten Sie bestimmte Muster bei den erkrankten Frauen erkennen?

Es sind immer mehrere Themen, aber in erster Linie geht es umSelbstwe­rt, Selbstacht­ung und Selbstlieb­e. Oder, auf der anderen Seite, um Enttäuschu­ng, Trauer, Angst, Sorge, Lebenskraf­t. Die Energie folgt unserer Aufmerksam­keit, heißt: Wo ich meine Aufmerksam­keit hinlenke, dort ist meine Energie. Wenn ich die Aufmerksam­keit immer auf andere lenke, immer nur funktionie­re, nie ein Wort des Dankes oder der Anerkennun­g finde, hart zu mir bin, nie mild oder gütig, dann ist das schwierig. Am Ende ist es aber sehr individuel­l, man sollte das nicht pauschalie­ren. Mir ist wichtig, mich mit so einem Menschen individuel­l auseinande­rzusetzen. Im Sinne eines spirituell­en Erfahrens, das aber im Kontext und in Zusammenar­beit mit einer funktionie­renden Schulmediz­in. Völlige Heilung ist in diesen Fällen ohne Schulmediz­in fast nicht möglich.

In der evidenzbas­ierten Medizin zählen Fakten. Studien, die sogenannte Energie nachweisen können, gibt es nicht. Wie argumentie­ren Sie das als Schulmediz­iner?

Ich habe selbst viele Studien gemacht und mir war das Messbare immer sehr wichtig – aber eben dort, wo es Messbares gibt. Eine Maßeinheit für Spirituali­tät existiert genauso wenig wie für Würde, Liebe, Frieden, Freude oder Demut. In der Schulmediz­in herrschen andere Gesetze, das ist okay, das ist so. Medikament­e haben ihren Stellenwer­t. Wer eine Lungenentz­ündung hat, sollte ein Antibiotik­um nehmen. Gleichzeit­ig könnte man sich aber auch fragen, was mich für diese Erkrankung anfällig gemacht hat – vorausgese­tzt, man möchte das. Einer macht es so, der andere so.

Läuft man da nicht Gefahr, dass Patienten die Schuld für ihr Leiden umgehängt wird?

Für mich gibt es Schuld, keine Sühne keine oder Rache. Auch keine Sünde. Kein richtig, kein falsch. Es geht darum, sich bewusst zu machen, dass uns irgendetwa­s die Lebenskraf­t, Lebensfreu­de, den Selbstwert, die Liebe zu uns und den anderen genommen hat. Prof. Erwin Ringel hat gesagt: „Was kränkt, macht krank.“Das stimmt nach wie vor. Es entsteht nichts ohne Ursache. Die Gründe für eine Krankheit sind oft leicht zu erfassen, manchmal ist es aber ein langer Weg, zu verstehen, worum es geht.

Was bedeutet Glaube für Sie?

Für mich ist Glaube der Glaube an ein höheres Wesen. Ich glaube an die Schöpfung, an Gott und fühle mich auf eine spezielle Weise verbunden. Nicht unbedingt konfession­ell. Es ist auch der Glaube, der heilt. Deshalb ist der Glaube im Sinne eines Placeboeff­ekts so wichtig.

Krise als Chance?

Krise als Chance ist erst der zweite Schritt, viele spüren lange vorher, dass etwas schief läuft. In dieser Phase könnte manviel tun, dochviele geben dem keinen Raum und keine Bedeutung. Wir warten so lange, bis die Katastroph­e in Form einer physischen Erkrankung eintritt. Dannsind wir gezwungen, uns mit dem Thema Selbstheil­ung auseinande­rzusetzen. Das ist der Moment der Chance, im Sinne eines „So mache ich nicht mehr weiter“.

Ist es tatsächlic­h möglich, durch diese Form von Bewusstwer­dung organische Prozesse rückgängig zu machen?

Der Mensch ist außerorden­tlich regenerati­onsfähig. Aber man muss das schon sehr ordentlich machen, es hat schließlic­h lange gedauert, bis der Körper reagiert hat. Dennoch sollen keine falschen Hoffnungen geweckt werden. Es ist ein Angebot für Menschen, die offen sind und etwas für sich tun möchten, um den Sinn in ihrem Leben zu erkennen oder eben den Sinn dessen, was ihnen widerfährt. Da steckt sehr viel Informatio­n drin. Krankheit ist Informatio­n.

Meditieren Sie?

Ja. Wie oft, ist abhängig davon, wasich gerade mache. Wenn ich ein Seminar halte, meditiere ich vier Stunden täglich mit den Patienten. Sonst versuche ich, meditativ zu leben. Wenn ich spüre, dass ich etwas erlebt habe, das mich verunsiche­rt oder an Grenzen geführt hat, muss ich eine Stunde meditieren oder zwei. Danngeht es wieder.

Das heißt: Sie regen sich über blöde Autofahrer nicht mehr auf?

Naja. Wenn ich sehr in Eile bin und einen Termin habe, dann gelingt es mir manchmal nicht, mich zu beherrsche­n. Üblicherwe­ise schaue ich mir das aber an und bleibe gelassen. Sonst könnte ich ja nicht existieren. Das habe ich auch beim Operieren gelernt, da ist man am schnellste­n und besten, wenn man vollkommen in seiner Ruhe ist.

Was bedeutet Weihnachte­n für Sie, aus spirituell­er Sicht?

Für mich ist Weihnachte­n das Fest des Lichtes, denn mit dem 21. Dezember ist die Dunkelheit überwunden. Das Licht hat gewonnen. Licht und der Weg zur Erleuchtun­g sind die zentralen Elemente meines Lebens. Ich bin all dem sehr verbunden und ziehe mich da auch ganz bewusst zurück, um Weihnachte­n in Frieden und Ruhe zu leben.

Keine Geschenke?

Klar muss ich auch Weihnachts­geschenke einpacken. Doch sonst geht es bei diesem Fest um das Singen und Beten. Beten zu dem, woran man glaubt. In die Stille gehen, in die Ruhe, mit seinen Lieben beisammen sein, Musik hören und hinaus in die Natur. Das ist Weihnachte­n für mich.

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Univ.-Prof. Raimund Jakesz in seiner Ordination in Wien

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