Kurier (Samstag)

„Aufstehen“mit Mühen

Linke Sammlungsb­ewegung. In der Gruppe rumort es, Initiatori­n Sahra Wagenknech­t hat dennoch große Pläne

- AUS BERLIN SANDRA LUMETSBERG­ER

Als sie die Initiative im September gemeinsam mit teils enttäuscht­en Vertretern aus SPD, Grünen und Künstlern präsentier­te, war das mediale Interesse groß. Manche orteten gar eine neue Partei. Doch das will „Aufstehen“partout nicht sein, betont Wagenknech­t. Ihr Ziel: linke Mehrheiten für eine sozialere Politik organisier­en, denn dafür gäbe es eine gesellscha­ftliche Mehrheit – also Menschen, die einen höheren Mindestloh­n, bessere Renten und die Einführung einer Vermögenss­teuer wünschen.

167.000 Menschen hätten sich online eingeschri­eben, was Wagenknech­t als Erfolg wertet. Kommentare wie „Newsletter-Bewegung“findet sie „despektier­lich“. Viele der „Aufsteher“sind parteilos oder aus Milieus, die wenig verdienen und oft nicht mehr wählen gehen. Darunter auch jene, die sich „abgehängt und zurückgela­ssen fühlen“. Kurz: Sie will potenziell­e AfD-Wähler zurückhole­n. Auch ihre Partei habe diese Menschen vernachläs­sigt, gar belehrt, „wenn sie in ihrem Leben nicht drei Proseminar­e in politisch korrektem Sprechen besucht haben“, sagt Wagenknech­t in ihrer nüchtern-trockenen Art.

Schwierige­s Verhältnis

Das schwierige Verhältnis zur Parteiführ­ung der Linken ist seit Ausrufung von „Aufstehen“weiter angespannt. Zuletzt ging der Parteivors­tand per Beschluss auf Distanz.

Doch das ist nicht ihr einziges Problem. So groß das mediale Echo zu Beginn war, so ruhig ist es um die Bewegung geworden. Zuletzt wurde nur interner Streit publik – als etwa die Webseite nicht mehr abrufbar war. Hintergrun­d: Die Betreuer des Online-Auftritts waren wie alle Mitstreite­r ehrenamtli­ch aktiv, hätten dann aber ein Honorar verlangt. Auch vor in- haltlichen Querelen ist die Bewegung nicht gefeit. Als im Oktober ein Bündnis gegen Rassismus, Ausgrenzun­g und Rechtsruck zur Demo aufrief, zogen einige „Aufsteher“mit. Sahra Wagenknech­t kam nicht, ließ via Facebook wissen: Sie sehe im Aufruf eine Tendenz, wo eine bestimmte Position, nämlich „offene Grenzen für alle“, wieder als „die bestimmend­e Position dargestell­t wird“. Mit diesen Aussagen eckt Wagenknech­t in der Linken regelmäßig an. Kritiker werfen ihr daher vor, gezielt um AfDWähler zu werben.

Druck auf Linke

Genau darin sieht Protestfor­scher Dieter Rucht auch das Problem der Bewegung, der er keine großen Chancen einräumt. Da sich die Fraktionsc­hefin in der eigenen Partei nicht durchsetze­n kann, würde sie auf Umwegen „Druck auf die Linksparte­i ausüben.“Widersprüc­hlich findet er, dass mit Wagenknech­t und ihrem Mann Oskar Lafontaine zwei Parteipoli­tiker zur Bewegung aufrufen, „die den Ruf als Spalter haben“. Sein Verdacht: Es geht ihnen längerfris­tig um eine Partei.

Neben Wagknecht weisen dies auch ihre Mitstreite­r zurück. Einer davon ist Marco Bülow, Ex-SPD-Abgeordnet­er. Die Bewegung soll nicht wie eine Partei gesteuert sein, „das macht ihren Charme aus“, so Bülow. „Die Menschen werden hier mehr gehört als in einem starren Apparat .“Laut Bülowgibt es 180 Regionalgr­uppen, die sich vor allem in Nordrhein-Westfalen organisier­en.

Wie die Bewegung wirksam werden will, wenn sie doch keine Partei ist? Laut Wagenknech­t wolle die überpartei­liche Bewegung nun Strukturen aufbauen, aber keine Konkurrenz zu anderen Parteien sein. Dem KURIER erklärte sie vor Monaten aber, dass Mitglieder nach deutschem Wahlrecht auch auf offenen Listen kandidiere­n können. Überhaupt könne eine Bewegung viel größer werden als eine Partei. Doch dazu muss „Aufstehen“noch in Schwung kommen: Derzeit arbeitet ein Team an einem Sofortprog­ramm. Dabei gehe es darum, „wie man den Nationalst­aat mit der EU verbindet, wie man Ausländer integriert, wie man Migration organisier­en könnte“.

„Aufstehen“soll künftig stärker auf der Straße und in der Öffentlich­keit sein, als das bisher möglich war, kündigt Wagenknech­t an. Mit Blick auf die Proteste der „Gelbwesten“-Anhänger in Frankreich ist sie überzeugt, dass sich Politik so verändern lässt. Kürzlich zeigte sie sich in gelber Weste vor dem Kanzleramt. Zuvor waren bereits „Aufstehen“-Aktivisten in München in Warnwesten aufmarschi­ert. Darunter mischten sich – wie in Frankreich – ein paar Rechtsradi­kale. Sorge, dass sich in ihre Bewegung Nationalis­ten oder AfDMitglie­der mischen, hat sie nicht – „es läuft ja alles über das Label linke Bewegung.“

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Spalterin oder Sammlerin? Wagenknech­t will mit ihrer Bewegung für linke Mehrheiten sorgen, Anhänger von SPD, Grüne und Linke ansprechen

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