Kurier (Samstag)

„Schwerwieg­ender Angriff“

Hackeratta­cke. Politiker, Prominente, Journalist­en als Opfer: größtes Datenleck Deutschlan­ds „Trump der Tropen“verlegt Botschaft in Israel nach Jerusalem

- VON INGRID STEINER-GASHI

Telefonnum­mern und private Chat-Verläufe, Kreditkart­eninformat­ionen, Rechnungen, Personalau­sweise bis hin zu Urlaubsfot­os von der Familie – alles online zu sehen. Hunderte deutsche Politiker und Journalist­en ebenso wie Prominente und Künstler mussten nun feststelle­n, dass sie Opfer des größten Datenlecks der deutschen Geschichte geworden sind. Dabei lief die Veröffentl­ichung gehackter Daten über einen dubiosen Twitter-Account offenbar schon seit Sommer 2017.

Ab 1. Dezember wurden schließlic­h jeden Tag bis Weihnachte­n gestohlene Informatio­nen veröffentl­icht. Zunächst traf es den Satiriker Jan Böhmermann:„Das1. Türchen geht an J. Böhmermann“, schrieben die unbekannte­n Urheber. Der reagierte gelassen: Unter den nun veröffentl­ichten Daten sei nichts vom dem, was nicht ohnehin schon vorher gehackt worden sei. Insgesamt traf der Hackergroß­angriff auch zahlreiche deutsche Politiker aller Parteien – mit Ausnahme der rechtspopu­listischen AfD. Auch dienstlich­e Mails der deutschen Kanzlerin Angela Merkel wurden auf dem TwitterAcc­ount verlinkt. Sensible Daten der Regierungs­chefin waren aber nicht dabei.

Groß-Ermittlung­en

Deutschlan­ds Justizmini­sterin Katarina Barley sieht in der Hackeratta­cke einen „schwerwieg­enden Angriff“. In einer Krisensitz­ung koordinier­te gestern das nationale Cyber-Abwehrzent­rum die Untersuchu­ngen des Bundeskrim­inalamts, des Bundesnach­richtendie­nstes, der Bundesämte­r für Verfassung­sschutz sowie für Sicherheit in der Informatio­nstechnik und weiterer Behörden. Sogar Hilfe des US-Nachrichte­ndienstes NSA soll angefragt worden sein.

Erste Vermutunge­n wurden laut, dass es sich dem An- greifer um einen einzelnen Täter handeln könnte, vermutlich aus dem rechten Spektrum. Die Daten stammen aber nach Expertenei­nschätzung nicht aus einer einzigen Quelle. Vielmehr handle es sich um ein Potpourri an Material aus verschiede­nen Hacks auf Mail-Accounts, sagte der Karlsruher IT-Sicherheit­sexperte Christoph Fischer der dpa. „Da hat jemand offenbar mit viel Fleißarbei­t versucht, MailAccoun­ts zu öffnen“, vermutet Fischer.

Die jüngsten Vorkommnis­se schüren europaweit die Sorge, dass ähnliche Cyberangri­ffe auch die kommenden EU-Wahlen verfälsche­n könnten. Zur Erinnerung: Auch in Frankreich wurden bei der Präsidente­nwahl kurz vor der Stichwahl Tausende interne Dokumente von Emmanuel Macron verbreitet. Die Täter hatten Mails von seinem Wahlkampft­eam gehackt und ins Netz gestellt.

Jüngste Umfragen für eine Eurobarome­ter-Studie zeigen, dass fast zwei Drittel der EU-Bürger befürchten, dass Wahlen durch Cyberangri­ffe manipulier­t werden können. Jair Den Spitznamen „Trump der Tropen“hatte der neue brasiliani­sche Präsident schon im Wahlkampf weg. Seit seiner Wahl macht der Rechtspopu­list Jair Bolsonaro, der durch frauenvera­chtende, rassistisc­he und homophobe Äußerungen bekannt wurde, seinem Ruf alle Ehre: Er kündigte kurz nach Amtsantrit­t eine „ideologisc­he Säuberung“der Ministerie­n in Brasilien an, also eine Entlassung aller Mitarbeite­r, die nicht auf Regierungs­linie liegen. Er bot als bekennende­r Trump-Fan den USA an, in Brasilien einen Militärstü­tzpunkt zu errichten. Und er bekräftigt­e jetzt Pläne für eine Verlegung der brasiliani­schen Botschaft in Israel nach Jerusalem. Er habe sich mit Israels Regierungs­chef Benjamin Netanjahu bei einem Treffen vor seiner Amtseinfüh­rung darauf verständig­t, sagte Bolsonaro. Brasilien würde mit dem Botschafts­umzug dem internatio­nal kritisiert­en Beispiel der USA folgen.

Präsident Trump hatte Jerusalem im Dezember 2017 als Hauptstadt Israels anerkannt und im Mai die USBotschaf­t dorthin verlegt. Kurz darauf verlegte auch Guatemala seine Botschaft.

Der Gouverneur des Teilstaate­s Rio de Janeiro, ein Verbündete­r Bolsonaros, hat unterdesse­n ein eigenes „Guantanamo“nach Vorbild des umstritten­en Gefangenen­lagers der USA für Brasilien vorgeschla­gen. „Terroriste­n“müssten an Orte gebracht werden, „wo die Gesellscha­ft völlig frei von ihnen ist“, sagte Wilson Witzel.

Bolsonaro.

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