Zum Allernichtexistentesten
Eine russische Fortsetzung zur Frage, wen die Wirklichkeit interessiert
Freiherr von Münchhausen, der Echte, hat nach Ende seiner Offizierslauf bahn auf seinem Gut in Niedersachsenden Besuchern gern verrückte Geschichten erzählt, und einer seiner Zuhörer hat in England einen Buchbestseller mit diesen und anderen erfundenen Geschichten gelandet. Den Münchhausen hat er als Ich-Erzähler für alle Zeit festgeschrieben.
Andere Autoren, wie Gottfried August Bürger, haben dann noch mehr Abenteuer dazufantasiert, sodass Münchhausen, der Echte, zum „Lügenbaron“erklärt wurde.
Auf einer Kanonenkugel ist er geritten? Einen achtbei- nigen Hasen hat er gejagt? Sich selbst und sein Pferd zog er am eigenen Schopf aus dem Sumpf? Enten trugen ihn in die Luft?
Alter Angeber. Freiherr von Münchhausen war in seinen letzten Jahren verdrossen über seinen Ruf. Er starb 1797.
Kapitulation
Jetzt zu Sigismund Krzyzanowski (1900–1940).
Ein Schriftsteller der russischen Moderne. Erst 50 Jahre nach seinem Tod durften seine Romane in Russland erscheinen. Unter Stalin produzierte er Literatur zur Sicherheit für die Schublade. Darunter fantastische Roma- ne wie „Münchhausens Rückkehr“, in dem der Adelige vom Zeiger der Zeit fällt. Direkt „zum Allernichtexistentesten“führt der Weg von den Friedensverhandlungen in Versailles über Russland, wo er als Spion unterwegs ist.
Besser: In die Sowjetunion reist er. Dort geht es derart seltsam zu, dass Lügen keinen Sinn mehr machen. Die Wahrheit ist verrückt genug. Münchhausen kapituliert vor der Wahrheit.
Das ist das Philosophische an dem erstmals ins Deutsche übersetzten Buch, das – wie Literaturwissenschaftler Thomas Grob von der Universität Basel im Nachwort anmerkt – eine so bittere Satire hätte werden können.
Doch schaffte Krzyzanowski eine lebendige, verspielte, humorvolle Geschichte, in dessen Mittelpunkt der Aufschrei steht:
Wen interessiert dieses alberne „in Wirklichkeit“? Hans Albers ritt auf der Kanonenkugel zu den Türken: Ufa-Film aus dem Jahr 1943