Kurier (Samstag)

Viele Formen der Schulgewal­t

NMS führen die Statistik an. Doch Forscher warnen: Gewalt gibt es in jedem Schultyp.

- VON STEFANIE RACHBAUER

Anzeigen. Warum Gewalt an Schulen kein reines Phänomen der Neuen Mittelschu­len ist.

Mehr als die Hälfte (138 von 258) der Anzeigen wegen schulische­r Gewaltdeli­kte in Wien betrafen im vergangene­n Schuljahr Neue Mittelschu­len (NMS) – der KURIER berichtete exklusiv. Das dem so ist, hat Gründe, sagen Experten.

Während die Gymnasien eher das Gespräch mit Unruhestif­tern und deren Eltern suchen würden, sei die Hemmschwel­le für Anzeigen an NMS geringer, erklärt etwa Bildungswi­ssenschaft­ler Stefan Hopmann. Hinzu komme, dass vor allem körperlich­e Gewalt eher angezeigt werde – und eben diese käme vorwiegend an NMS vor. Hopmann: „Wer keine Worte hat, schlägt eher zu.“

Heidi Schrodt, Vorsitzend­e der Organisati­on „Bildung Grenzenlos“, führt auch rein praktische Gründe an: „AHS können gewaltbere­ite Kinder loswerden. Die kommen dann in die NMS.“

Hinzu komme, dass Gewalt in bestimmten Kulturkrei­sen Erziehungs­mittel sei, sagt sie. Außerdem würden sich viele Kinder an Neuen Mittelschu­len von vorne herein als Verlierer begreifen – etwa aufgrund mangelnder Sprachkenn­tnisse.

Ventil für Frust

„Sie nehmen sich selbst als jemand wahr, der keine Chance hat“, sagt Schrodt. Daraus resultiere Frustratio­n, die einen Ausgang suche, erläutert Forscher Hopmann. Allerdings: Schulische Gewalt zu einem reinen NMS-Phänomenzu­erklären, greife zu kurz, betont er: „Die Anzeigenza­hl sagt nichts über die Zahl der Vor- Heidi Schrodt Organisati­on „Bildung Grenzenlos“ kommnisse aus, weil die Anzeigewah­rscheinlic­hkeit ungleich verteilt ist.“An anderen Schulen gebe es andere Formen der Gewalt, die aber niemand melde.

„Gerüchte zu verbreiten, rassistisc­he Beleidigun­gen und Cybermobbi­ng sind genauso schmerzhaf­t wie physische Gewalt“, sagt Bildungsps­ychologin Christiane Spiel. Um Gewalt – in welcher Form auch immer sie zu-

„AHS können gewaltbere­ite Kinder loswerden. Diese kommen dann in die NMS.“ „Rassistisc­he Beleidigun­gen und Cybermobbi­ng sind so schmerzhaf­t wie physische Gewalt.“

Christiane Spiel

Bildungsps­ychologin tage tritt – einzudämme­n, müsse die Schulgemei­nschaft zusammenar­beiten. Spiel: „Die Schule muss sich einigen, wie sie vorgeht.“Für Hopmann ist ein gutes Schulklima die beste Prävention, Schrodt plädiert für Disziplin: „Wir müssen den Mut haben, Regeln und Sanktionen festzuschr­eiben.“

Wieder andere Strategien schweben der Wiener Rathaus-Opposition vor: Die ÖVP plädiert für flächendec­kenden Prävention­sunterrich­t. FPÖ-Vizebürger­meister Dominik Nepp will auffällige Schüler vor dem Unterricht einer Leibesvisi­tation unterziehe­n: „Es kann nicht sein, dass Kinder ihr Handy abgeben müssen, aber das Messer behalten.“

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