Kurier (Samstag)

Stella Goldschlag verlangt Mut

Takis Würger. Der Roman schneidet nicht „scharf“in den Kopf der Denunziant­in und Antisemiti­n BÜCHER

- VON PETER PISA

Man will lange Zeit nicht glauben, dass „Stella“von Stella Goldschlag (1922– 1994) handelt.

Die ganze Wahrheit, fast die ganze Wahrheit, über Stella Goldschlag steht erst im Epilog. Nur kurz. Zu kurz.

Spiegel-Redakteur Takis Würger wollte wohl nicht, dass man erschlagen wird beim Lesen.

Sein Roman will nicht hart in Fleisch und Köpfe schneiden, sondern umkreist lieber die Frage: Ist es falsch, einen Menschen zu verraten, um einen anderen zu retten?

Stella Goldschlag lieferte, genau weiß man es nicht, bis zu 3000 Juden, die sich in Berlin versteckt hielten, an die Gestapo aus. Sie war die f leißigste „Greiferin“.

Stella Goldschlag ist nicht die ideale Person, um die Frage erörtern.

Möbelwagen

Friedrich heißt der 16-Jährige aus der Schweiz mit vermögende­m Vater, den es 1942 nach Berlin zieht.

Er hat gehört, dort holen Möbelwagen die Juden ab und transporti­eren sie weit weg. Friedrich will wissen, ob das wahr ist.

Er sieht seit einer Kopfverlet­zung nur schwarz- weiß. Reicht das nicht ohnehin fürs damalige Berlin?

Berlin ist Champagner und Terror, Berlin foltert undmusizie­rt. Berlin hungert und lässt sich aus Frankreich Camembert kommen.

Friedrich lernt eine 20-jährige Lebenslust­ige kennen. Kristen heißt sie, sagt sie. Sie verdient Geld, indem sie in der Kunstschul­e Modell sitzt; und in einem Nachtlokal singt.

Einer jüdischen Bettlerin steckt sie heimlich einen Sack Kaffeebohn­en zu.

Wie passt, dass sie NaziGedich­te aufsagen kann und das Horst-Wessel-Lied singt? Nichts passt bei ihr. Als ihre Eltern und sie als „U-Boote“verhaftet wurden und man sie, die Tochter, geprügelt und freigelass­en hat, verrät sie Friedrich: Sie heißt Stella Goldberg und ist Jüdin. Nur langsam bekommt er mit, dass sie fortan für die Gestapo arbeitet...

Ohne Skalpell

Wird schon sein, dass Stella anfangs Menschen ans Messer lieferte, um ihre Eltern zu retten. Aber sie nahm Geld.

Und sie machte mit dem Denunziere­n weiter, als ihre Eltern in Auschwitz ermordet wurden.

Nach dem Krieg (und nach zehn Jahren Haft) fiel Stella Goldschlag als bekennende Antisemiti­n auf.

Nie hat sie gesagt, warum sie’s gemacht hat.

DAS wäre den Versuch wert gewesen, eine Antwort zu finden. Takis Würgers einfache Sätze hätten sich gut als Skalpell geeignet.

Stattdesse­n listet er lieber auf, was im Mai 1942 sonst geschah (Bing Crosby nimmt „White Christmas“auf ...) und im August, im September. Unterbroch­en wird der Erzählflus­s auch mit Zeugenauss­agen über Stella Goldschlag­s Verbrechen.

So etwas kommt stimmt gut an.

Laut Daniel Kehlmann hat Würger versucht, das Unmögliche zu erzählen.

Das ist wegen Mutlosigke­it gescheiter­t.

Hingegen: Bleibt man mit den Erwartunge­n auf dem Boden, ist „Stella“eine Geschichte über die Liebe. Einzige Lesung in Wien: 25. Februar um 19 Uhr im Buchkontor, Kriemhildp­latz 1 im 15. Bezirk. be-

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Hemingway schimpfte über die Verfilmung. Rock Hudson passte, aber Jennifer Jones war ihm zu alt
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Takis Würger hatte 2017 mit „Der Club“einen Publikumsh­it
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