Einsatz am Limit
WARUM HELFER HELFEN
Sie riskieren für andere ihr Leben. Sie gehen an ihre eigenen Grenzen. Und langsam platzt ihnen der Kragen.
Elf Urlauber von Almhütte gerettet. Neun Wintersportler aus Graben geborgen. Snowboarder nach einer Nacht im Freien abseits der Piste entdeckt. Ein Blick auf die Website der Bergrettung Österreich veranschaulicht, was freiwillige Einsatzkräfte dieser Tage in weiten Teilen des Landes leisten: Während in vielen Skigebieten entlang der Nordalpen immer noch höchste Lawinengefahr herrscht, begeben sich ehrenamtliche Bergretter in Gefahr, um verschüttete oder eingeschneite Wintersportler aus den Schneemassen zu bergen. Was treibt sie an?
„Bei ehrenamtlicher Arbeit gibt es eine ganz klare Motivlage“, erklärt Cornel Binder-Krieglstein, Notfallpsychologe und selber freiwilliger Mitarbeiter im Rettungsdienst. „Der Hauptgrund ist, dass man in seiner Freizeit etwas Sinnvolles machen möchte. Danach kommt gleich der soziale Aspekt, also dass man mit anderen Menschen in Beziehung treten kann. Aus Untersuchungen wissen wir, dass Österreich bei der Freiwilligenarbeit ganz weit vorne liegt.“
Menschliches Bedürfnis
Eine von mehr als drei Millionen Österreichern, die sich ehrenamtlich engagieren, ist Karin Strasser aus Niederösterreich. Die 55-Jährige arbeitet hauptberuflich als Tierärztin und ist seit 18 Jahren ehrenamtliches Mitglied der Bergrettung – im Übrigen eine der wenigen dort tätigen Frauen ( siehe Grafik re.). „ Ich bin in einer Bergsteigerfamilie aufgewachsen. Die Bergretter waren die Helden meiner Kindheit“, erzählt sie. Heute hilft sie selber mit, Menschen unter oft widrigen Umständen aus Gefahrensituationen zu befreien. „Die Einsätze kommen natürlich oft zu Zeiten, wo man gar nicht damit rechnet, man sich nicht wohlfühlt oder es einem ,gar nicht passt‘. Man steht dann trotzdem auf, zieht sich an und fährt zur Zentrale. Wir haben immer wieder Sucheinsätze bei Schnee und Kälte, da muss man schnell sein, weil die Gefahr des Erfrierens besteht.“
Wie viele ihrer Kollegen bei der Bergrettung ist die Veterinärmedizinerin selber passionierte Bergsteigerin und zieht aus ihrem Hobby die nötige Motivation. „Ich hatte immer schon den Wunsch, im Falle des Falls eingreifen zu können und die Fähigkeit zu haben, meiner Gruppe zu helfen. Ich glaube, dass in vielen Menschen Empathie schlummert und der Wunsch, anderen zu helfen. Das ist ein zwischenmenschliches Bedürfnis.“Die Zufriedenheit nach derer dieselben Hirnareale aktiv werden wie bei Essen oder Sex. Bereits 1999 stellten Forscher fest, dass Menschen jenseits der 55, die sich engagieren, in den darauffolgenden fünf Jahren eine um 44 Prozent niedrigere Sterblichkeitswahrscheinlichkeit haben als jene, die nur mit sich selbst beschäftigt sind.
Ängste und Ärger ausblenden
Wie aber schaffen es Bergretter und andere Mitarbeiter im Katastrophengebiet, bei riskanten Einsätzen eigene Ängste auszublenden? „Wenn man sich zu einer freiwilligen Tätigkeit bekennt, ist es klar, dass diese Tätigkeit auch diesen Einsatzbereich umfasst“, sagt Binder-Krieglstein. „Oberste Prämisse ist, dass man als Einsatzkraft nur dann einschreitet, wenn das Risiko möglichst minimiert ist.“Bei Bergrettern sei zwar eine gewisse Risikobereitschaft gegeben, nicht aber ein unüberlegtes Risikoverhalten.
„Ich bin von Haus aus kein ängstlicher Typ, außerdem sind wir gut geschult und es ist auch immer ein gewisses Maß an Adrenalin im Spiel“, beschreibt Bergretterin Strasser ihren Umgang mit Ängsten. Professionelles Arbeiten bedeute auch, etwaigen Ärger über das Verhalten des Verunfallten auszublenden – zumindest nach außen hin. „Die Gedanken sind ja bekanntlich frei und natürlich denkt man sich gelegentlich, das kann ja nicht wahr sein, wieso geht man bei solchen Bedingungen in Lawinengebiete. In dem Moment, wo man zum Einsatz geht, ist man aber ganz Profi und blendet diese Gedanken völlig aus.“
Sieht sie sich heute, nach fast 20 Jahren im freiwilligen Rettungsdienst, selbst als Heldin? „Nein, eigentlich nicht“, lacht Strasser und denkt kurz nach. „Vielleicht sind mir die Berge als Kind größer erschienen als heute.“
Lesen Sie morgen: Eine Reportage über Helfer im Sölktal (Steiermark)
„Ich glaube, dass in vielen Menschen Empathie schlummert und der Wunsch, anderen zu helfen.“