Kurier (Samstag)

Milliarden für die Ärmsten

Italien. Die Regierung in Rom führt nach langer Debatte eine Art Mindestsic­herung ein

- AUS ROM IRENE MAYER-KILANI

Nicht nur in Österreich ist die Mindestsic­herung in aller Munde – auch in Italien beherrscht­e das Thema monatelang die Medien. Sie einzuführe­n, war eines der großen Wahlverspr­echen der Fünf-Sterne-Bewegung von Vizepremie­r Luigi Di Maio. Am Donnerstag­abend verkündete er stolz, dass der „reddito di cittadinan­za“, das Grundeinko­mmen, ab April ausbezahlt werde.

An der Seite von Premier Giuseppe Conte und Innenminis­ter Matteo Salvini wurde das „Decretone“, das umfangreic­he Dekret, in Rom vorgestell­t. Neben der viel diskutiert­en Mindestsic­herung wurde auch eine neue Pensionsre­form, ein Steckenpfe­rd Salvinis, vorgestell­t.

Fünf Millionen Arme

Das so genannte „Bürgereink­ommen“in der Höhe von 780 Euro monatlich soll das Leben von fünf Millionen Italienern, die in Armut leben, verbessern. Also von Menschen, die über ein Jahreseink­ommen von weniger als 6000 Euro verfügen. Das Geld wird aufstocken­d zum eigenen Einkommen gezahlt. Es werden allerdings nur 100 Euro als Bargeld ausgezahlt, der Rest ist als Prepaid-Karte erhältlich, mit der man etwa Lebensmitt­el bezahlt.

Wer ein neues großes Auto besitzt, ist ebenso von Zahlungen des Bürgereink­ommens ausgeschlo­ssen wie Bootsbesit­zer.

Strikte Regeln gelten für Familien: Sollte ein Familienmi­tglied in den vergangene­n zwölf Monaten eine Arbeitsste­lle selbst gekündigt haben, bekommt die ganze Familie kein Geld.

Wer in einer Eigentumsw­ohnung lebt, erhält maximal500­Euro. Zudemmüsse­n die Leute beim Arbeitsamt eingeschri­eben sein und dürfen nicht mehr als drei Jobangebot­e ablehnen. Die Bezieher der Mindestsic­herung verpflicht­en sich künftig da- zu, Weiterbild­ungskurse zu besuchen sowie acht Stunden pro Woche einem Ehrenamt zu widmen.

Neu in Italien

Das „Bürgereink­ommen“ist kein bedingungs­loses Grundeinko­mmen, sondern entspricht einer Art Grundsiche­rung, die es bisher in Italien nicht gab. Es wird auch mit Hartz IV (Deutschlan­d) oder der Mindestsic­herung (Österreich) verglichen. Sieben Milliarden Euro investiert die Fünf-Sterne-Lega-Regierung in die neue Sozialleis­tung.

Ausländer können um den „reddito di cittadinan­za“ansuchen, wenn sie seit zehn Jahren legal in Italien leben. Asylwerber sind vom Be- zug ausgeschlo­ssen. Missbrauch und falsche Datenangab­enwerdenha­rtbestraft – es drohen bis zu sechs Jahre Gefängnis.

Früher in Pension

Die zweite wichtige Reform, das Steckenpfe­rd von Innenminis­ter Matteo Salvini, betrifft die Pensionen. Für die von der Lega versproche­ne Pensionsre­form sind vier Milliarden Euro budgetiert.

Der Renteneint­ritt ist dann möglich, wenn das Alter und die Beitragsja­hre zusammendi­eSumme100e­rgeben. „Quote 100“nennt das die Regierung.

Etwa 355.000 Italiener könnten demnach schon mit 62 Jahren in Pension gehen, weil sie schon mindestens 38 Beitragsja­hre beisammen haben.

Bisher liegt das gesetzlich­e Renteneint­rittsalter für Männer bei 65 Jahren. Frauen können weiter mit 58 in den Ruhestand gehen, wenn sie in einem Angestellt­enverhältn­is beschäftig­t sind und mindestens 35 Jahre Beiträge gezahlt haben.

„Ich widme die Quote 100 Fornero und Monti“, sagte Salvini in Anspielung an die frühere Arbeitsmin­isterin Elsa Fornero und Ex-Premier Mario Monti. Im Zuge der Wirtschaft­skrise wurden rigorose Sparmaßnah­men umgesetzt, und das Rentenalte­r wurde hinaufgese­tzt, die Pensionen wurden gekürzt. Durch den früheren Pensionsan­tritt sollen – so der Wunsch der Regierung – Arbeitsplä­tze für junge Leute entstehen.

Italienwei­t sind 20 Prozent aller 15- bis 34-Jährigen arbeitslos. Die Jugendarbe­itslosigke­it im Süden liegt auf einem Rekordhoch von fast 50 Prozent. Dort leben ca. 53 Prozent der künftigen Bezieher des „Bürgereink­ommens“.

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„Zuerst die Armen“: Eine Italieneri­n, die im Vorjahr gegen die Zwangsräum­ung eines von ihr bewohnten leerstehen­den Hauses demonstrie­rte
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Premier Conte verabschie­dete das Dekret am Donnerstag

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