Kurier (Samstag)

Terror bedroht „prekären Frieden“

Experte analysiert die Lage in Kolumbien zwei Jahre nach historisch­em Friedenssc­hluss

- – IRENE THIERJUNG

Es ist Donnerstag­vormittag (Ortszeit), als ein 57-Jähriger in einem Pick-up, beladen mit 80 Kilo Sprengstof­f, einen dauerhafte­n Frieden in Kolumbien in noch weitere Ferne bombt, als dieser es ohnehin schon ist. Schauplatz des verheerend­sten Anschlags in dem südamerika­nischen Land seit Jahren ist eine Polizeisch­ule in Bogota. Mindestens 21 Menschen sterben, Dutzende werden verletzt.

Bekannt hat sich zu der Tat zunächst niemand, laut Behörden hatte der Täter ein Naheverhäl­tnis zu den linksgeric­hteten Rebellen der ELN. Medien berichten, er habe früher als Sprengstof­fexperte für diese gearbeitet. „Sollte sich bestätigen, dass die ELN verantwort­lich ist, hätte sie sich aus dem Friedenspr­ozess gebombt“, sagt Günther Maihold, Lateinamer­ika-Experte der Stiftung Wissenscha­ft und Politik in Berlin, zum KURIER.

Bevölkerun­g gespalten

Mehr als 50 Jahre hatte in Kolumbien ein Bürgerkrie­g zwischen marxistisc­hen Rebellengr­uppen, rechten Paramilitä­rs und der Armee getobt, der mehr als 220.000 Menschen das Leben kostete und 7,5 Millionen Menschen zu Binnenflüc­htlingen machte. 2016 schloss die Regierung des damaligen Präsidente­n und späteren Friedensno­belpreistr­ägers Juan Manuel Santos nach langen Verhandlun­gen ein Friedensab­kommen mit der größten Rebellengr­uppe, der FARC – gegen den Willen einer Mehrheit der Bevölkerun­g. Friedensge­spräche mit der zweitgrößt­en Gruppe, der ELN, wurden nach einem Anschlag noch unter Santos auf Eis gelegt.

Dessen Nachfolger, der rechte Ivan Duque, hält nichts vom Frieden mit der FARC und will das Abkommen prüfen. Duque und vielen anderen sind vor allem die großzügige­n Amnestiere­gelungen für Ex-Kämpfer und deren Beteiligun­g am politische­n Prozess zuwider – die FARC ist heute als Partei im Parlament. Es herrsche ein „prekärer Frie- de“, beschreibt Günther Maihold die Lage im Land. Die Regierung sehe den Frieden nicht als den ihren an. Doch auch aus anderen Gründen ist der Friedenspr­ozess fast zum Erliegen gekommen.

Gewalt, Drogen, Flucht

Dem Staat ist es nicht gelungen, in den früher von der FARC kontrollie­rten Gebieten Präsenz zu zeigen – mit dem Effekt, dass dort andere „Gewaltakte­ure“, wie Maihold es ausdrückt, Einzug gehalten haben: Dissidente­n der FARC, die mit der Entwaffnun­g nicht einverstan­den waren, die ELN und kriminelle Banden.

Auch die Re-Integratio­n ehemaliger FARC-Kämpfer in die Gesellscha­ft – ein wichtiger Pfeiler im Friedensab­kommen – komme kaum voran. Viele entwaffnet­e Kämpfer hätten sich abgesetzt und seien von „anderen Gewaltakte­uren“rekrutiert worden.

In letzter Zeit sei auch der Koka-Anbau wieder gestiegen, sagt Maihold, die große Zahl venezolani­scher Flüchtling­e stelle den Staat vor große Probleme. Der Rückhalt für Duque in der Bevölkerun­g sinkt, auch weil er keine eigene Machtbasis hat und politisch von Ex-Präsident Alvaro Uribe abhängig ist – einem ausgemacht­en Hardliner.

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Viele Ex-FARC-Rebellen sind heute Politiker – das gefällt nicht allen

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