Kurier (Samstag)

INTERVIEW

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Olympiasie­gerin, Weltmeiste­rin, Pionierin: Anna Gasser (27) sind im Snowboard-Sport Sprünge gelungen, die vor ihr noch keine Frau gewagt hatte. In der freizeit erzählt sie, was das für ein Gefühl ist, warum sie sich das traut und mit welcher Taktik sie das Risiko minimiert.

freizeit: weltweit, die Anna, einen Sie „Cab sind die Double erste Cord Frau ...“uff, die Namen der Sprünge sind wirklich schwer zu merken ... ANNA GASSER: antwortet wie aus der Pistole geschossen: „Cab Double Cord 900“. Die Namen sind blöd. Kein Wunder, dass man sich in Österreich nicht so gut beim Snowboard-Sport auskennt. Jedenfalls haben Sie 2013 mit diesem Sprung Geschichte geschriebe­n. Was ist mit Cab eigentlich gemeint? Oh, jetzt wird’s komplizier­t! Im Grunde geht es darum, in welche Richtung man beim Snowboarde­n wegspringt und landet. Es gibt Frontside, Backside, aber auch verkehrt. Cab bedeutet, dass man mit dem „falschen“Fuß startet und bei der Landung zum Kicker schaut (Anm.: Schanze). Aha ... jedenfalls haben Sie 2013 einen doppelten Rückwärtss­alto gemacht. Wofür steht die Zahl 900? Sie steht für die halbe Drehung, die ich dabei absolviert habe. Dabei haben Sie mit dem Snowboarde­n erst begonnen, als sie 17 waren. Kann man sagen, dass Ihre SnowboardK­arriere Zufall war? Hätte mir vor zehn Jahren jemand erklärt, dass ich einmal Snowboarde­rin sein werde, hätte ich das nicht geglaubt. Aber in der heutigen Zeit passiert vieles spontan, im Sport, aber auch in anderen Jobs. Ich habe viele Freunde, die etwas ganz anderes studiert haben, als sie jetzt machen. Es ist nicht das Schlechtes­te, Zufälle, die sich ergeben zu nutzen. Dass Sie einen Rekord nach dem anderen aufstellen, kann kein Zufall sein. Erst im März sind Sie als erste Frau der Welt einen „Cab Triple Underflip 1260“gesprungen, einen dreifachen Rückwärtss­alto mit halber Drehung. Ich war früher Kunstturne­rin und glaube, dass sich dadurch Salti für mich natürlich angefühlt haben. Ich bin auch viel mit Jungs gefahren, was mir bis zu einem gewissen Grad sicher geholfen hat. Was haben Sie von den Jungs gelernt? Sie haben mir gezeigt, dass es keine Grenzen gibt. Bei Mädels gibt es oft Vorbehalte, ob sie etwas können oder nicht. Dabei gibt es dafür keinen Grund. Es ist jetzt sechs Jahre her, dass ich den ersten Double gemacht habe, innerhalb von einem Jahr haben ihn vier Mädels gemacht, mittlerwei­le sind es zehn. Wenn man etwas als Erste macht, kann man den anderen zeigen, was möglich ist. Im Oktober kam am Stubaier Gletscher der Triple dazu. Was ist das für ein Gefühl, etwas zu können, was keine andere Frau auf der Welt kann? Das ist richtig cool, aber Können ist übertriebe­n. Ich habe den Sprung ja erst einmal gemacht und seither nicht mehr. Sagen wir so: Ich hab’ ihn als Erste geschafft und derweil hat ihn noch keine andere probiert. Aber ich bin mir sicher, dass in den nächsten zwei Jahren auch andere Mädels den Triple machen werden. Und bei den Männern? Dort sind Triples Standard, aber wir Mädels sind ziemlich nah dabei. Mittlerwei­le hat jemand schon einen Vierfachen geschafft, aber ist ihn im Wettkampf noch nicht gestanden. Ich glaube aber, die Leistungsg­renze ist bald erreicht, weil man die Kicker nicht noch größer bauen kann (Anm.: Sprungscha­nze). Haben Sie bei so spektakulä­ren Sprüngen manchmal ein mulmiges Gefühl? Natürlich denke ich darüber nach, aber ich glaube, das Wichtigste ist die Vorbereitu­ng. Ich fahr nicht hirnlos, sondern versuche, mich langsam an den nächsten Schritt heranzutas­ten. An den Triple habe ich schon Monate vorher gedacht. Ich suche mir dann auch einen perfekten Tag und einen perfekten Sprung aus. Ich glaube, dass ich das Risiko halbwegs gut abschätzen kann. Sie vertrauen also der Intuition? Ich höre sehr auf mein Bauchgefüh­l und bereite mich sehr gut vor. Ich achte genau darauf, wann ich bereit dafür bin. Passieren kann immer was, aber meistens nicht bei den schwierigs­ten Sprüngen, sondern wenn man übermüdet ist oder bei schlechten Verhältnis­sen einen Contest fahren muss. Dein Bauchgefüh­l sagt dir, dass du nicht fahren sollst, aber es geht nun mal nicht anders. Aber wenn man sich Schritt für Schritt vorbereite­t, kann man das Risiko minimieren. Was ist mit Visualisie­ren? Ich kann einen Trick nur machen, wenn ich ihn im Kopf sehe. Wie gehen Sie da vor? Ich schaue mir viele Videos von den Herren an, aber auch meine eigenen Trainingss­prünge. Dann stelle ich mir die Bewegungen im Kopf vor. Es gibt so viele kleine Sachen, auf die man schauen kann: Wie man wegspringt oder wie man grabed

(Anm.: spezieller Griff ans Board). Ob das ein paar Millimeter weiter beim rechten oder linken Fuß ist, ändert deine Flugkurve schon, auch, wo der Kopf in dem Moment hinschaut. Das stelle ich mir alles sehr oft vor und das hilft sehr. Ihre Begeisteru­ng für das Boarden: Wo kommt sie her? Von den Eltern? Gar nicht. Meine Mama ist schon Sportlehre­rin und mein Papa war in seiner Jugend Fußballspi­eler. Aber mittlerwei­le haben es beide lieber gemütliche­r. Haben Ihre Eltern Angst um Sie? Die Mama ist immer nervöser als der Papa. Nach dem Triple hat sie mich angerufen und sich wirklich gefreut. Aber eine halbe Stunde später war sie wieder am Telefon und hat gesagt: „Hat das denn nie ein Ende?“Ihre erste Frage ist auch immer: „Geht es dir gut? Hast du dich verletzt?“

WENN MAN ETWAS ALS ERSTE MACHT, KANN MAN DEN ANDEREN ZEIGEN, WAS MÖGLICH IST.

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