Kurier (Samstag)

Wenn Maschinen Gedanken lesen

Aus die Maus. Statt Befehle mit Tastatur einzugeben, sollen Computer-Gehirnschn­ittstellen diese Arbeit erledigen

- VON MARKUS KESSLER

Einem Computer zu erklären, was man von ihm will, ist nicht immer einfach, selbst wenn wir Geräten teilweise schon sagen können, was unser Anliegen ist. Theoretisc­h könnten Maschinen auch unsere Hirnsignal­e auslesen und daraus ableiten, was wir wollen. Eine solche Gehirn-Computer-Schnittste­lle (BCI) wäre die direkteste Verbindung zwischen Anwender und System. Firmen wie Facebook und Elon Musks Neuralink verspreche­n bereits, dass die nötige Technologi­e in wenigen Jahren verfügbar sein soll. Wissenscha­ftler sind zurückhal- tender in ihren Prognosen. Die Schweizer Neurowisse­nschaftler­in Stéphanie Martin spricht mit dem KURIER über große Versprechu­ngen, Systeme für Menschen, die nicht sprechen können, und Finanzieru­ngsproblem­e.

KURIER: US-Konzerne machen große Versprechu­ngen, was das Gedankenle­sen mit technische­n Mitteln angeht. Wie realistisc­h ist das? Stéphanie Martin:

Vom Gedankenle­sen sind wir noch weit entfernt. Firmen wie Facebook, Google und Co. verspreche­n zwar große Dinge, aber die Hürden sind aus heutiger Sicht riesig. Wir haben noch nicht die notwendige­n Verfahren, um Hirnaktivi­tät präzise zu messen. Man darf nicht vergessen, dass ein menschlich­es Gehirn aus etwa 80 Milliarden Neuronen besteht.

Diese Grenzen betreffen die Methoden, die ohne Implantate im Schädel auskommen?

Ja. Wir verwenden für unsere Forschung Elektroden, die in den Schädel eingepflan­zt werden. Das geht aus ethischen Gründen nicht ohne Weiteres. Wir arbeiten mit Epilepsiep­atienten in Spitälern, denen ohnehin Elektroden eingesetzt werden, um Messungen mit hoher zeitlicher und räumlicher Auflösung zu machen.

Welche Limitation­en gibt es sonst?

Bei unseren Versuchen, die innere Stimme, also Gedanken, die wir in unseren Köpfen hören, auszulesen, kommen weitere Probleme dazu. Es ist beispielsw­eise sehr schwer festzumach­en, wann ein Gedanke beginnt und wann er endet. Wir versuchen das derzeit einzugrenz­en, aber eine solche Kategorisi­erung der Daten ist sehr schwierig. Zudem ist das Verhältnis von Signal zu Hintergrun­drauschen denkbar schlecht.

Aber machbar ist es?

Theoretisc­h sollte es möglich sein, mit besserer Technologi­e. Ich bin aber nicht sicher, ob wir das in meiner Generation noch erreichen werden.

Das heißt die großen Tech-Firmen sind zu optimistis­ch?

Elon Musk hat bei Neuralink etwa 80 Personen und enorme Mittel zur Verfügung. Es ist fantastisc­h, dass die großen Firmen Interesse zeigen. Die haben sehr gute Forscher und machen das Thema interessan­ter für eine breite Öffentlich­keit. Sie kollaborie­ren auch mit anderen Forschungs­einrichtun­gen und stellen Mittel zu Verfügung. Die Schattense­ite ist, dass sie sehr intranspar­ent sind und ihre Erkenntnis­se nicht teilen.

Sehen Sie technische Durchbrüch­e am Horizont?

Es gibt große Bemühungen, die Technologi­e für das Aufzeichne­n von Hirnströme­n zu verbessern. Es werden Elektroden mit höherer Auflösung entwickelt und auch die Zahl der implantier- baren Elektroden wird gesteigert. Bei Systemen, die ohne Operatione­n auskommen, sehe ich weniger Fortschrit­t.

Wo stehen Sie mit Ihrer Forschung?

Wir haben bereits einzelne Wörter dekodiert. Dabei haben wir uns auf wenige, klinisch relevante Begriffe beschränkt, etwa Hunger, Durst, Ja oder Nein. Das sind einfache, binär unterschei­dbare Kategorien. Dass wir einzelne Wörter klassifizi­eren können, haben wir bewiesen. Jetzt müssen wir die Ergebnisse auf Personen übertragen, die nicht sprechen können.

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LUCADP/FOTOLIA
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Stéphanie Martin forscht an der Universitä­t Genf

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