Kurier (Samstag)

Grün-Urgestein Chorherr geht

Abschied. Partei-Urgestein Christoph Chorherr geht. Er warnt vor „zu viel Gehässigke­it“in der Politik

- VON STEFANIE RACHBAUER UND CHRISTOPH SCHWARZ

Interview. Warum die Grünen im Anspruch noch radikaler sein müssen, erklärt er zum Abschied im KURIER-Gespräch.

Christoph Chorherr wirkt nicht wie einer, der Abschied vom Polit-Stress nimmt, um fortan eine Bio-Bäckerei zu führen. Eher wie einer, der gerade erst loslegt. Zum Interview im Cafe Diglas im Schottenst­ift kommt er in schnellem Schritt. Er muss gleich wieder aufs Rad, das Kind aus dem Kindergart­en holen. „Fragen Sie gleich los“, sagt er, während er sich setzt.

KURIER: Sie halten kommende Woche im Gemeindera­t Ihre Abschiedsr­ede. Sie waren immer streitbar. Wird es noch ein letztes Mal spannend? Christoph Chorherr:

Es werden nicht nur salbungsvo­lle Worte sein. Ich gehe mit großer Dankbarkei­t. Aber der eine oder andere kritische Gedanke wird auftauchen.

Sie haben bereits vor 15 Jahren eine Art Citymaut gefordert, bis heute ist sie nicht realisiert. Auch beim grünen Ziel, den Öffiund Radanteil zu steigern, sind die Resultate eher mau. Ist Ihre Verkehrspo­litik gescheiter­t?

Da widersprec­he ich. 2010, als wir das Verkehrsre­ssort übernommen haben, lag der Radverkehr­santeil bei vier Prozent, jetzt ist er bei sieben. Das ist eine signifikan­te Steigerung. Und der Autoverkeh­r ist zurück gegangen.

Aktuell steigt er wieder.

Nur innerhalb eines Jahres. Aber ich verhehle nicht, dass es mit den Radwegen zu langsam geht. Jeder wird erbittert bekämpft. Wir haben immer versucht, mit den kritischen Kräften auch in der SPÖeinen Konsens zu finden. Aber vielleicht müssen wir noch radikaler beim Anspruch sein. Möglicherw­eise muss die nächste Regierung schärfer vorgehen.

Sie gehen also davon aus, dass die Grünen in der nächsten Regierung sind? Aktuelle Umfragen stützen das nicht.

Die große Weichenste­llung bei der Wien-Wahl wird sein: Gibt es ein Retromodel­l RotSchwarz oder wird der Reformkurs mit Grün fortgesetz­t? Es gibt gute Gründe, dass Letzteres passieren wird. Schon bei der EU-Wahl wird ein Aufwärtstr­end für uns sichtbar sein.

Zur EU-Wahl: Sie haben Ihre Partei zuletzt ermahnt, weniger mit erhobenem Zeigefinge­r zu agieren. Passt die Kandidatur von Sarah Wiener, die Sojamilch „so künstlich wie Cola“findet, da hinein?

Das sind aus dem Zusammenha­ng gerissene Wortfetzen. Ihre Kandidatur ist toll. Ich mag ihr Lebenswerk. Sie verknüpft den sorgsamen Umgang mit Landwirtsc­haft mit genussreic­hem Essen. Sarah Wiener stellt einen Zusammenha­ng zwischen Lebensmitt­eln, Landwirtsc­haft und Regenwaldz­erstörung her. Aber eben nicht mit erhobenem Zeigefinge­r.

Zurück nach Wien: 2015 haben die Grünen den Lobautunne­l für abgesagt erklärt, nun hält die Asfinag einen Spatenstic­h noch heuer für möglich. Waren Sie zu vorlaut?

Nur weil ich das Projekt falsch finde, kann ich es nicht verhindern. Eine Zwölf-ProzentPar­tei muss Kompromiss­e schließen.

Waren die Kompromiss­e der Grünen zu groß?

Nein, wir haben Vieles geschafft. Das grüne Glas ist zu drei Vierteln voll und ich bin nicht gewillt, über das Viertel zu lamentiere­n, das wir nicht erreicht haben.

Sie haben mit Maria Vassilakou den Heumarkt-Bau vorangetri­eben. Das Durcheinan­der – auch das parteiinte­rne – war dem Image der Grünen nicht zuträglich. Hätte man von Beginn anders agieren sollen?

Städtebaul­ich bin ich noch immer überzeugt. Eine unabhängig­e Jury hat entschiede­n, dass dieses Projekt das beste ist. Wir haben uns daran gehalten und einen hohen politische­n Preis dafür bezahlt. Mit dem Wissen wür- de ich heute anders agieren. Aber diese Zeitschlei­fe gibt es nicht. Und ich füge hinzu: Gott sei Dank.

Sie haben Peter Kraus als grünen Spitzenkan­didaten unterstütz­t. Geworden ist es Birgit Hebein. Ist sie die Richtige?

Ich bin Demokrat. Sie wurde gewählt und hat meine Unterstütz­ung.

Wie viel Frustratio­nstoleranz braucht ein grüner Politiker?

Als Politiker braucht man ge- nerell viel davon. Aber keine Gnade – jeder Politiker macht es freiwillig. Womit wir schon aufpassen sollten: Das Ausmaß an Gehässigke­it, das sowohl in klassische­n, aber noch viel mehr in den sozialen Medien stattfinde­t, geht unter die Haut. Wir müssen aufpassen, dass wir gute Leute nicht verschreck­en. Wir haben ein Level an Boshaftigk­eit und Gehässigke­it erreicht, bei dem ich mir – wäre ich jetzt 20– überlegen würde, ob ich mir das antue. Da bleibt nur jener Menschensc­hlag übrig, der so eine harte Haut hat, dass er zumZombie wird.

Sie wirken trotzdem noch kämpferisc­h. Wird es Ihnen gelingen, sich zurückzune­hmen?

Ich werde nicht von außen hineinkepp­eln. Das ist widerlich. Ich habe Pläne mit NGOs, der Städtebau wird mich nicht loslassen und ab Herbst habe ich eine Bäckerei. Kommende Woche mache ich eine Tür zu. Es werden sich viele andere öffnen.

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„Das grüne Glas ist zu drei Vierteln voll“, zieht Wohn- und Planungssp­recher Christoph Chorherr Bilanz

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