Grün-Urgestein Chorherr geht
Abschied. Partei-Urgestein Christoph Chorherr geht. Er warnt vor „zu viel Gehässigkeit“in der Politik
Interview. Warum die Grünen im Anspruch noch radikaler sein müssen, erklärt er zum Abschied im KURIER-Gespräch.
Christoph Chorherr wirkt nicht wie einer, der Abschied vom Polit-Stress nimmt, um fortan eine Bio-Bäckerei zu führen. Eher wie einer, der gerade erst loslegt. Zum Interview im Cafe Diglas im Schottenstift kommt er in schnellem Schritt. Er muss gleich wieder aufs Rad, das Kind aus dem Kindergarten holen. „Fragen Sie gleich los“, sagt er, während er sich setzt.
KURIER: Sie halten kommende Woche im Gemeinderat Ihre Abschiedsrede. Sie waren immer streitbar. Wird es noch ein letztes Mal spannend? Christoph Chorherr:
Es werden nicht nur salbungsvolle Worte sein. Ich gehe mit großer Dankbarkeit. Aber der eine oder andere kritische Gedanke wird auftauchen.
Sie haben bereits vor 15 Jahren eine Art Citymaut gefordert, bis heute ist sie nicht realisiert. Auch beim grünen Ziel, den Öffiund Radanteil zu steigern, sind die Resultate eher mau. Ist Ihre Verkehrspolitik gescheitert?
Da widerspreche ich. 2010, als wir das Verkehrsressort übernommen haben, lag der Radverkehrsanteil bei vier Prozent, jetzt ist er bei sieben. Das ist eine signifikante Steigerung. Und der Autoverkehr ist zurück gegangen.
Aktuell steigt er wieder.
Nur innerhalb eines Jahres. Aber ich verhehle nicht, dass es mit den Radwegen zu langsam geht. Jeder wird erbittert bekämpft. Wir haben immer versucht, mit den kritischen Kräften auch in der SPÖeinen Konsens zu finden. Aber vielleicht müssen wir noch radikaler beim Anspruch sein. Möglicherweise muss die nächste Regierung schärfer vorgehen.
Sie gehen also davon aus, dass die Grünen in der nächsten Regierung sind? Aktuelle Umfragen stützen das nicht.
Die große Weichenstellung bei der Wien-Wahl wird sein: Gibt es ein Retromodell RotSchwarz oder wird der Reformkurs mit Grün fortgesetzt? Es gibt gute Gründe, dass Letzteres passieren wird. Schon bei der EU-Wahl wird ein Aufwärtstrend für uns sichtbar sein.
Zur EU-Wahl: Sie haben Ihre Partei zuletzt ermahnt, weniger mit erhobenem Zeigefinger zu agieren. Passt die Kandidatur von Sarah Wiener, die Sojamilch „so künstlich wie Cola“findet, da hinein?
Das sind aus dem Zusammenhang gerissene Wortfetzen. Ihre Kandidatur ist toll. Ich mag ihr Lebenswerk. Sie verknüpft den sorgsamen Umgang mit Landwirtschaft mit genussreichem Essen. Sarah Wiener stellt einen Zusammenhang zwischen Lebensmitteln, Landwirtschaft und Regenwaldzerstörung her. Aber eben nicht mit erhobenem Zeigefinger.
Zurück nach Wien: 2015 haben die Grünen den Lobautunnel für abgesagt erklärt, nun hält die Asfinag einen Spatenstich noch heuer für möglich. Waren Sie zu vorlaut?
Nur weil ich das Projekt falsch finde, kann ich es nicht verhindern. Eine Zwölf-ProzentPartei muss Kompromisse schließen.
Waren die Kompromisse der Grünen zu groß?
Nein, wir haben Vieles geschafft. Das grüne Glas ist zu drei Vierteln voll und ich bin nicht gewillt, über das Viertel zu lamentieren, das wir nicht erreicht haben.
Sie haben mit Maria Vassilakou den Heumarkt-Bau vorangetrieben. Das Durcheinander – auch das parteiinterne – war dem Image der Grünen nicht zuträglich. Hätte man von Beginn anders agieren sollen?
Städtebaulich bin ich noch immer überzeugt. Eine unabhängige Jury hat entschieden, dass dieses Projekt das beste ist. Wir haben uns daran gehalten und einen hohen politischen Preis dafür bezahlt. Mit dem Wissen wür- de ich heute anders agieren. Aber diese Zeitschleife gibt es nicht. Und ich füge hinzu: Gott sei Dank.
Sie haben Peter Kraus als grünen Spitzenkandidaten unterstützt. Geworden ist es Birgit Hebein. Ist sie die Richtige?
Ich bin Demokrat. Sie wurde gewählt und hat meine Unterstützung.
Wie viel Frustrationstoleranz braucht ein grüner Politiker?
Als Politiker braucht man ge- nerell viel davon. Aber keine Gnade – jeder Politiker macht es freiwillig. Womit wir schon aufpassen sollten: Das Ausmaß an Gehässigkeit, das sowohl in klassischen, aber noch viel mehr in den sozialen Medien stattfindet, geht unter die Haut. Wir müssen aufpassen, dass wir gute Leute nicht verschrecken. Wir haben ein Level an Boshaftigkeit und Gehässigkeit erreicht, bei dem ich mir – wäre ich jetzt 20– überlegen würde, ob ich mir das antue. Da bleibt nur jener Menschenschlag übrig, der so eine harte Haut hat, dass er zumZombie wird.
Sie wirken trotzdem noch kämpferisch. Wird es Ihnen gelingen, sich zurückzunehmen?
Ich werde nicht von außen hineinkeppeln. Das ist widerlich. Ich habe Pläne mit NGOs, der Städtebau wird mich nicht loslassen und ab Herbst habe ich eine Bäckerei. Kommende Woche mache ich eine Tür zu. Es werden sich viele andere öffnen.