Der Kraft-Akt des Doppelweltmeisters von 2017
Skispringen. Noch im Herbst befand sich Stefan Kraft im Formtief, im heutigen Bewerb am Bergisel ist er Mitfavorit
Am Scheitel von Stefan Kraft lässt sich gut erkennen, was der Salzburger in den vergangenen zwei Jahren durchgemacht hat. Seit seiner Rekordsaison 2016/’17 (Sieg im Gesamtweltcup, zwei WM-Goldmedaillen, Skiflugweltrekord) hat sich beim 25-Jährigen das eine oder andere graue Haar eingeschlichen. Und tatsächlich hat der ehemals beste Skispringer der Welt in dieser Zeit in der internationalen Konkurrenz teilweise ziemlich alt ausgesehen.
„Mir sind graue Haare gewachsen. Im Herbst war ich von einer WM-Medaille weiter entfernt als die Sonne vom Mond“, erzählt der Doppelweltmeister von 2017. Nach Rang 23 bei den Staatsmeis- terschaften wähnte sich der Pongauer „komplett im Eck“, und Trainer Andreas Felder meinte unverhohlen: „Wenn er so weitermacht, wird er nichts reißen.“
Schwierige Zeit
Fünf Monate später hat Stefan Kraft drei Saisonsiege zu Buche stehen, ist die Nummer drei im Gesamtweltcup und darf sich beim heutigen Großschanzenbewerb am Bergisel (14.30 Uhr) zu den Favoriten zählen. „Wenn mir damals jemand gesagt hätte, dass ich jetzt so performen kann, hätte ich ihn für verrückt erklärt“, sagt Kraft. „ Der vergangene Sommer und die Vorbereitung auf diese Saison waren die schwierigste Zeit in meiner Karriere.“
Dass er nun wieder in anderen Sphären schweben darf, hat Stefan Kraft nicht zuletzt seiner Beharrlichkeit zu verdanken. Und dem Mut, bewährte Erfolgsrezepte links liegen zu lassen und sich als Springer neu zu erfinden. Eine weitsichtige Entscheidung, die er zum Beispiel Gregor Schlierenzauer voraus hat, der immer noch darauf zu hoffen scheint, dass sein früherer Sprungstil ein Revival erfährt.
Unterstützung erhielten Kraft und seine Mannschaftskollegen nicht zuletzt vom neuen Chefcoach, der selbst dann nicht in Panik und Aktionismus verfiel, als die Ergebnisse ausblieben und Kritik laut wurde. Zumal Andreas Felder von Anfang an da- vor gewarnt hatte, von den Springern Wunderdinge zu erwarten.
Großer Ruhepol
Der letzte Winter, in dem die Österreicher ohne Sieg und Medaille geblieben waren, hatte Spuren hinterlassen. „Das war eine zutiefst verunsicherte Mannschaft, die Versagensängste hatte“, erinnert sich der Trainer-Routinier. Insofern muss ihn die Qualifikation am Bergisel positiv stimmen: Da präsentierten sich die Österreicher mit den Plätzen fünf (Michael Hayböck), sechs (Philipp Aschenwald) und zehn (Kraft) stark.
Die Ruhe und Gelassenheit, die Felder selbst in schwierigen Phasen stets ausstrahlt, verlangt er von seinen Athleten jetzt auch bei der Heim-WM. „Man muss hier nichts Besonderes machen, man muss es einfach passieren und laufen lassen“, sagt Andreas Felder, der gerne die ÖSV-Trainerlegende Wilfried Vettori zitiert. „Er hat uns immer gesagt: ,Einen Stier kann man auch mit Gewalt nicht melken.‘ “