Selbstfindung.
A 16. März hat Tschaikowskis „Die Jungfrau von Orleans“Premiere am Theater an der Wien. In der Neuinszenierung der Oper lassen zwei Frauen Jeanne d’A c vor allem gegen sich selbst kämpfen.
Johanna hat ein Problem. Sie ist eine junge Frau, die nicht will, was eine junge Frau wollen soll. Ihr Vater hat für sie einen ganz klaren Weg vorgesehen. Es sind schließlich unsichere Zeiten.
Frankreich und England befinden sich mitten im Hundertjährigen Krieg. Das Mädchen, so sieht es der Landmann Thibaut d’Arc (Willard White), braucht also einen Beschützer und soll heiraten. Aber daraus wird nichts. Denn Johanna (Lena Belkina) erhält einen göttlichen Auftrag. Sie soll ihr Land retten, überzeugt auch König Karl VII. (Dmitry Golovnin) von ihrer Mission und zieht mit einem Heer in den Krieg gegen England. So weit, so bekannt.
Nun ist Johanna von Orléans natürlich viel mehr als eine Kriegsheldin. Sie ist zum Beispiel eine junge Frau und gerade erst der Pubertät entwachsen. Und hier setzen Regisseurin Lotte de Beer und die musikalische Leiterin Oksana Lyniv bei „Die Jungfrau von Orleans“an. Am 16. März feiert Tschaikowskis Oper Premiere am Theater an der Wien.
In der Neuproduktion mit den Wiener Symphonikern und dem Arnold Schoenberg Chor interessieren sich de Beer und Lyniv für das Innenleben ihrer Protagonistin. Mehr für den Menschen als die Heldin. Und so kommt die Geschichte musikalisch und szenisch – ganz psychoanaly isch – als Abfolge traumartiger Sequenzen daher.
Johanna – eine Feministin?
Was Johanna träumt und was sie tatsächlich erlebt, bleibt dabei unklar. „Wie bei Alice im Wunderland wissen wir das nicht“, erzählt Regisseurin Lotte de Beer, „so schweben wir durch das Stück, in dem alles eine psychologische Bedeutung hat.“Dabei steht die schwierige Beziehung Johannas mit ihrem Vater als Sinnbild für patriarchale Strukturen immer im Mittelpunkt. Hat diese Johanna aus heutiger Sicht also gar as Feministisches? „Absolut nicht“, sagt de Beer, „und das ist ihr eigentliches Problem.“Johanna versucht mit aller Kraft, romantische Gefühle und sexuelle Re- et gungen zu unterdrücken. Das geht gut, bis sie sich in den Engländer Lionel (Kristján Jóhannesson) verliebt. Johanna will aber rein bleiben.
„Sie ist eine junge Frau, die das Patriarchat nicht hassen kann, weil sie es selbst verinnerlicht hat“, so de Beer. Ihre Geschichte sehen wir im Theater an der Wien als musikalische Suche einer jungen Frau nach der eigenen Identität.
Tschaikowskis Oper schließt den ersten der vier Themenkreise, die das Programm am Theater an der Wien in dieser Saison durchlaufen wird. Stücke des sogenannten „SchillerKreis“, zu dem die Inszenierung gehört, sollen nicht zuletzt die Rolle dichterischen Schaffens im Musiktheater thematisieren – am Beispiel von drei Opern nach Texten Friedrich Schillers. Bisher hatten Rossinis „Guillaume Tell“und Verdis „Don Carlos“Premiere.
Nun folgt also „Die Jungfrau von Orleans“. Diese Oper, sagt Lotte de Beer, habe eine ganz besondere Dramatik, was daran liegen dürfte, dass der Stoff Tschaikowski persönlich nahe war. Er war seit seiner Kindheit von der Geschichte der historischen Figur Jeanne d’Arc fasziniert. Außerdem dürfte ihm als sehr religiösem Menschen deren Zerrissenheit selbst nicht fremd gewesen sein.
Und so stammt hier nicht nur die Musik von Tschaikowski. Auf Basis von Schillers gleichnamiger romantischer Tragödie schrieb er auch das Libretto. Aber Schiller und Tschaikowski sahen die Johanna nicht unbedingt gleich. Während sie bei Schiller zum Beispiel heroisch am Schlachtfeld stirbt, lässt Tschaikowski sie, historisch korrekt, am Scheiterhaufen verbrennen. Auch in dieser Szene, so Lotte de Beer, fokussiere Tschaikowski mit seiner Musik ganz auf das Menschliche. In diesem Fall allerdings nicht auf Johanna, sondern auf die Gesellschaft, die sie grausam hinrichten lässt.