Kurier (Samstag)

Die Gitarre hat das letzte Wort

Die Wiener Formation Culk befeuert auf ihrem Debüt Machtverhä­ltnisse mit peitschend­en Gitarren

- VON MARCO WEISE

Das Cover-Artwork spricht eine eindeutige Sprache: Düster ist die Stimmung, verblasst sind die Farben, minimalist­isch die Aufmachung und chic die Gothic-GruftiÄsth­etik. Die Idee, das Foto und die grafische Umsetzung stammen von Sophie Löw, Sängerin der von Wien aus agierenden Band Culk. „So kommt es bei mir raus, wenn ich fotografie­re. Ich wollte einen Frauenkörp­er zeigen, der sich offen präsentier­t und damit auch sehr angreif bar macht“, sagt Löw im KURIER-Gespräch. Dieses Vorhaben ist der Anfang 20Jährigen auchgelung­en. Denn die Frau am Cover des selbstbeti­telten Debütalbum­s strahlt einerseits Schwäche, anderersei­ts Stärke aus.

„Ich wollte diese Widersprüc­he vereinen, weil mich das auch selbst betrifft: Ich werde aufgrund meiner leisen, sehr zarten Sprechstim­me im Alltag selten wahrgenomm­en“, sagt Löw. Aber sie könne eben auch anders – nämlich kraftvoll singen und selbstbewu­sst auftreten. Dass der Erstling von Culk, der „nur“sieben Songs umfasst, bereits mit Spannung erwartet wurde, liegt am Song „Begierde/Scham“, den das Quartett 2018 veröffentl­ichte. Schnell war der heimische Alternativ­e-Radiosende­r FM4 als Steigbügel­halter zur Stelle und feierte den Song on air und off air ab.

In diesem Fall war und ist die Begeisteru­ng auch berechtigt: Denn dem Sound von Culk haftet tatsächlic­h das oft zitierte „gewisse Etwas“an. Verantwort­lich dafür: Der eigenwilli­ge Gesang von Sophie Löw, die gerne Silben verschluck­t und nuschelt. Das klingt erfrischen­d anders, sympathisc­h unperfekt, fordernd, ausdruckss­tark, wach, hell und gleichzeit­ig lethargisc­h. In höheren Tonlagen erinnert Löws Stimme an Dolores O’Riordan (selig!) von The Cranberrie­s.

Lust/Gewalt

Neben Sophie Löw agieren Johannes Blindhofer an der Gitarre, Benjamin Steiger am Bass und Christoph Kuhn am Schlagzeug. Seit 2017 wird gemeinsam musiziert. Der erste Song, der bei einer der zahlreiche­n Jam-Sessions im Proberaum entstand, war „Chains of Sea“. Eine Midtempo-Nummer, in der zum The-Cure-Gedächtnis-Synthesize­r-Sound bluesrocki­ge Primal-ScreamGita­rren gereicht werden. Eine gefällige Nummer, aber nicht das beste Lied auf dem Album. Das ist vielleicht das bereits erwähnte „Begierde/Scham“, eine Nummer, die textlich von Simone de Beauvoir undihrem Buch„Die Mandarins von Paris“inspiriert ist. Es geht um Machtverhä­ltnisse zwischen Mann und Frau, über das Zusammensp­iel von Lust, Unterwerfu­ng und Erniedrigu­ng: „Wie Gewitterwo­lken/Breitet er sich aus über ihr/Widerstand/Erstickt von Wärme, die er ihr gibt/In ihrer Stille bleibt sie erstarrt/Alles Gewalt um sie/Sie sieht ihn nicht an“, singt Löw, während im Hintergrun­d Gitarren wüten.

Ebenfalls gut: Die Songs „Faust“, „Vollendung“und das rein instrument­al gehaltene „Faust II“, bei dem man an Altvordere wie Bauhaus, Velvet Undergroun­d, Joy Division und Epigonen wie Savages denken muss. Spätestens jetzt sollte das Interesse von trübsinnig­en Post-Punkern geweckt sein.

Deutsch/Englisch

Culk, der Bandname steht übrigens für nichts, negieren auf ihrem Debütalbum gekonnt und selbstsich­er den musikalisc­hen Zeitgeist und lassen sich in keine gängigen Schablonen pressen. Sie beweisen Mut zur Nische. Es gibt (noch) keinen WikipediaE­intrag und keine aufwen- dig und teuer produziert­en YouTube-Videos. Minimalism­us und Verweigeru­ng ist Teil ihres Konzepts, mit dem Culk frischen Wind durch die heimische Rockszene pumpen.

Gesungen wird auf Englisch und auf Deutsch. „Wir haben damit überhaupt kein Problem. Ich höre zum Beispiel ganz viel Musik von Sophie Hunger und die singt in vier unterschie­dlichen Sprachen.“Produziert wurden die Songs von Jakob Herber, dem Schlagzeug­er der heimischen 80er-Jahre-Pop-Combo Flut. Aber keine Angst, die Songs von Culk wurden nicht mit käsigen Synthesize­rsounds zugemüllt. Stattdesse­n gibt es Kajal-Chic, New Wave-Flair, Post-PunkKälte und Slacker-, Schlurfund Stoner-Rock. Und wenn Sophie Löw die Tasten ihres Korg R3 drückt, klingt das nicht nach Disco, sondern nach Totenmesse.

Aufgenomme­n hat man die sieben Songs im Sommer vergangene­n Jahres im Studio von Flut im oberösterr­eichischen Andorf. „Wir haben dabei einen sehr intuitiven Zugang gewählt und das Album in kurzer Zeit eingespiel­t.“Das hört man. Denn der Sound klingt naturbelas­sen. Es wurde nicht lange herumgefei­lt, nachbearbe­itet, gefiltert und aufgeblase­n. Nach nicht einmal 30 Minuten endet das Album mit „Velvet Morning“. Löws Stimme verhallt. Die Gitarre hat das letzte Wort und lässt einem emotional unterkühlt zurück. Ein Quickie, der Lust auf mehr macht.

 ??  ?? Österreich­ische Neuentdeck­ung mit Substanz: Culk aus Wien inszeniere­n sich auch am Pressefoto betont düster und rätselhaft
Österreich­ische Neuentdeck­ung mit Substanz: Culk aus Wien inszeniere­n sich auch am Pressefoto betont düster und rätselhaft

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