Eine faszinierende Farbenwelt
Ausstellung – Kunstforum Wien. „Flying High. Künstlerinnen der Art Brut“(bis 23. 6.)
Der Bogen ist weit gespannt von der „Entdeckung der Kunst von Geisteskranken“im späten 19. Jahrhundert über Jean Dubuffet, der Kunst und Künstler an den Rändern der Gesellschaft suchte, bis in die Gegenwart.
„Flying High“nimmt die Fäden der Schau „Kunst und Wahn“von 1997 unter erweiterten und aktualisierten Gesichtspunkten auf. 300 Werke von 93 Künstlerinnen der sogenannten Art brut, der „rohen unverfälschten Kunst“, zeigt das Bank Austria Kunstforum Wien, u. a. Arbeiten aus vier große historischen Sammlungen, die auch zu Museumsgründungen geführt haben.
„Andererseits gibt es parallel den interessanten Trend, dass immer mehr Contemporary Galerien, Museen, Messen und Sammler Art brut in ihre Schwerpunkte integrieren“, sagt Co-Kuratorin Hannah Rieger im KURIER-Gespräch. „Aber lange blieb unbemerkt, dass Frauen die Außenseiter in der Außenseiterkunst waren. Sie wurden bislang vor allem von der spezialisierten Art-brut-Community wenig geschätzt.“
Auch Gugging, wo der Psychiater Leo Navratil in den 60er-Jahren begann, mit seinen Patien- ten künstlerisch zu arbeiten, war eine reine Männerwelt. Im 1981 von Navratil gegründeten Haus der Künstler leben und arbeiten bis heute nur männliche Künstler. Und Bilder von August Walla, Oswald Tschirtner oder Johann Hauser finden sich heute in allen großen Museen.
Erst in letzter Zeit wurden vereinzelt Künstlerinnen auch aus der Ära Navratils entdeckt. Und die einzige derzeit in Gugging arbeitende Künstlerin ist Laila Bachtiar. Ihre Bunt- und Bleistiftstiftzeichnungen zeigen in einer oft netzartigen Struktur aus Linien und Flächen vor allem Bäume, Tiere oder Menschen.
Und was macht den besonderen Reiz dieses Genres aus? Man kann neue Wahrnehmungswelten kennenlernen und, so Kunstforum-WienDirektorin Ingried Brugger, „etwas anscheinend vollkommen Unbekanntes so entdecken, dass einem dabei die Augen übergehen.“
Der Horizont ist weit – die Vielfalt groß
Rieger: „Es gibt fantastische Art-brut-Werke von Frauen weltweit.“Für Brugger waren die Arbeiten von Judith Scott (1943–2005) bei der Biennale von Venedig 2017 eine Entdeckung: Bevor sie eine der bekanntesten Art-brut-Objektkünstlerinnen wurde, lebte sie – mit Down-Syndrom und taub – 35 Jahre in der Isolation. Sie kreierte aus Garnen, Stoffresten und Alltagsmaterialien unbeirrbar seltsame Wickelobjekte – für Brugger „zu verstehen als der lädierte Körper oder die lädierte Seele, die sie umwickelt und beschützt.“
Ihr Ziel war es, mit der Schau „den ganzen Art-brut-Komplex endlich in einen größeren Zusammenhang zu stellen und zu diskutieren.“