Ermalte Identitäten, Sehnsüchte und Obsessionen
Der erste Blick täuscht: Ein hübsch gehäkeltes Service mit zwei Kannen von Hedwig Wilms aus der Prinzhorn-Sammlung Heidelberg sieht man mit anderen Augen, wenn man weiß, dass diese Patientin, die alle Grässlichkeiten der Zwangsernährung mitgemacht hat und 1915 mit
Entdeckungen.
nur 29 kg Körpergewicht gestorben ist. „Bei diesem Exponat zeigt sich zugleich eine Sehnsucht und ein Ausweg, der sich im Milieu des verlorenen Häuslichen abspielt“, sagt Ingried Brugger.
Das Beispiel zeigt: Es geht um Autodidakten und deren ganz spezifische Formensprache. Hannah Rieger: „Es geht um die Kunst und nicht um die Krankheit. Aber in diesem Bereich kann man, ohne den biografischen Zusammenhang zu kennen, die eigenständige Thematik der Künstlerin nicht erfassen.“
Johann Hauser, schon sehr früh der Star unter den Gugginger Künstlern, ist bekannt für seine Darstellungen sexualisierter Frauen. „Aber das hat ein Mann gemacht“, so Rieger. Ganz anders Aloïse Corbaz: Getrieben von einer imaginären und obsessiven Leidenschaft für Wilhelm II., in dessen Nähe sie einst als Gouvernante beim Hofkaplan in Potsdam gearbeitet hatte, entwickelte sie in der Anstalt ihr ureigenes Liebesuniversum mit Ölkreide und Buntstift auf Papier. Rieger: „Immer mit einer gewissen Erotik, aber nicht so sexualisiert.“
Gezeigt werden neben vielen anderen Positionen der Contemporary Art auch zwei Dinosaurier der Autistin Julia Krause-Harder, die im Atelier Goldstein in Frankfurt am Main arbeitet. Ihre Mission ist es, die 800 bekannten Dinosaurierarten darzustellen. In der Überzeugung, „die Knochen der noch nicht ausgegrabenen unter der Erde würden nach ihr rufen“. Rund 30 großformatige Skulpturen hat sie bereits realisiert.