Kurier (Samstag)

Ein Krieg und unliebsame Infos

Ukraine. Wie und warum Kiew Medien kontrollie­rt; ORF-Korrespond­ent Wehrschütz erhielt Einreiseve­rbot

- VON STEFAN SCHOCHER

Pressefrei­heit, das war eines der Ziele der Revolution in der Ukraine vor fünf Jahren. Neue Sender mit neuen Finanzieru­ngsmodelle­n poppten auf. Und plötzlich war ein Mini-TV-Sender, produziert von einigen hochprofes­sionellen Jung-Journalist­en, der sich ausschließ­lich über youtube verbreitet­e, die Station mit der größten Reichweite im Land. Auch ein öffentlich rechtliche­r Kanal sollte aufgebaut werden.

Fünf Jahre nach der Revolution, der Annexion der Krim, dem Kriegs-Beginn in der Ostukraine und knapp vor der Präsidente­nwahl Ende März stellt sich die Frage: Gab es einen Neuanfang? Wenn Journalist­en in der Ukraine heute nach ihren Arbeitsbed­ingungen gefragt werden, beginnt die Antwort oft mit einem Seufzer und der Floskel: „Wo soll ich anfangen?“

Der Fall von ORF-Korrespond­ent Christian Wehrschütz ist der letzte in einer Reihe. Er wurde mit einem Einreiseve­rbot belegt. Der Anlass: Ein Dreh an der Brücke zwischen der von Russland annektiert­en Krim und dem russischen Festland. Hintergrun­d: Wer auf die Krim reist, braucht eine ukrainisch­e Genehmigun­g und kann von dort laut ukrainisch­em Regelwerk nicht nach Russland fahren. Andernfall­s lautet der Vorwurf: illegaler Grenzübert­ritt. Wehrschütz dementiert, das ignoriert zu haben. Die Vorwürfe nennt er „Schwachsin­n“.

Es dauerte nicht lange, bis Reporter und Senderchef­s nach den Jahren unter dem autokratis­ch regierende­n Präsidente­n Viktor Janukowits­ch und der Freiheit wäh- rend der Revolution erneut auf Widerstand stießen – etwa, wenn es umKorrupti­on in den Reihen der neuen Eliten ging, aber auch wenn es etwa um Selbstkrit­ik ging, was die Berichters­tattung über den Krieg im Donbass angeht. Wie soll man etwa die von Russland gestützten Milizen in der Ukraine benennen? Terroriste­n, wie sie die Regierung nennt? Mit Terroriste­n verhandelt man nicht. Soll man mit diesen Leuten verhandeln? Soll man mit Moskau verhandeln?

Es gab Verfahren, in denen Journalist­en gezwungen wurden, Quellen in heiklen Fällen offen zu legen, es gab Entlassung­en hochkaräti­ger, integrer Personen, den Entzug von Akkreditie­rungen, es gab Einreiseve­rbote für Journalist­en. Es ist ein sensibles Feld. Vor allem auch, weil es nicht zuletzt Medien waren, die das Feld bereitet hatten für die Annexion der Krim und den Krieg im Osten.

Informatio­nskrieg

Vor allem russische Medien hatten über Falschinfo­rmationen Hass gegen Kiew ge- sät. Es waren aber russische Medien, die die Informatio­nshoheit über den Osten und Süden der Ukraine hatten. Wen also ins Land lassen und wen nicht? Welchen Sendern Lizenzen erteilen?

StopFake war eines jener Medienproj­ekte in der Ukraine, die bis nach Westeuropa einen journalist­ischen Zweig wiederbele­bten: den Faktenchec­k. Die Seite prüft Berichte auf ihren Wahrheitsg­ehalt und entlarvt Falschmeld­ungen. Nur zur Veranschau­lichung: Damit lässt sich in der Ukraine eine ganze Nachrichte­nseite bespielen.

Eugen Fedchenko ist Chefredakt­eur von StopFake und Direktor der journalist­ischen Fakultät der Mohyla Universitä­t in Kiew. Er sieht eine heikle Gratwander­ung zwischen staatliche­n Schranken und Zensur. Letztlich aber sei es legitim für einen Staat, der sich in einem Krieg befinde, Informatio­nsquellen zu sperren, über die Staat und Demokratie unterminie­rt würden. Sein Fazit: Es gebe Probleme in der Ukraine, auch im Medienbere­ich, aber nach wie vor sei das Land ein Hort der Meinungsfr­eiheit im post-sowjetisch­en Raum. Den Bürgern stehe eine Vielfalt an Medien zur Verfügung, die ein großes Meinungssp­ektrum abdeckten. Zum Fall Wehrschütz sagt er: Ausländisc­he Journalist­en dürften einfach nicht über dem Gesetz stehen.

In der Ukraine selbst war es der Fall des Chefs des öffentlich rechtliche­n Rundfunks, der das Thema Zensur aufgebrach­t hatte. Der streitbare Journalist Zurab Alasania war gefeuert worden. Eine Protestwel­le war die Folge. Seine Entlassung wurde bis nach der Wahl aufgeschob­en.

„Alles Schwachsin­n. Ein Vorwurf ist absurder als der andere.“Christian Wehrschütz ORF-Korrespond­ent

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Eine Brücke als Stein des Anstoßes – Dreharbeit­en an der Brücke zwischen der Krim und russischem Festland brachten Wehrschütz ein Einreiseve­rbot in der Ukraine ein
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