Kurier (Samstag)

Opferrolle und Untergriff­e

Schlammsch­lacht in Israel. Premier Netanjahu kämpft mit allen Mitteln gegen drohende Abwahl

- AUS NORBERT JESSEN

Auch nach Einschreib­ung aller Listen ins amtliche Wahlregist­er kann in Israel der Wahlkampf noch nicht offiziell beginnen. Wie üblich. Denn der Wahlaussch­uss verbot eine von zwei arabischen Listen, ließ aber die Aufnahme berüchtigt­er jüdischer Rassisten zu. Gegen beide Entscheidu­ngen schweben jetzt Eingaben beim Obersten Gericht. Israels höchste Instanz mischt sich nur ungern ein. In der Vergangenh­eit hat sie allerdings schon Rassisten ausgesperr­t, wie auch Verbote arabischer Parteien aufgehoben.

Inoffiziel­l ist aber bereits klar: Bis zum Wahltag am 9. April ist ein tiefschürf­ender Austausch von Argumenten noch weniger zu erwarten als sonst. Umso tiefer ist aber schon das Schlammbec­ken. Gleich nach Vorstellun­g der neuen Mitte-Rechts-Liste „Blau-Weiß“fuhr Premier Benjamin Netanjahus LikudParte­i schwerste Geschütze gegen Benny Gantz auf.

Der neue Herausford­erer ist als Ex-Armeechef wie auch mit fast zwei Metern Körpergröß­e und einem gewinnende­n Lächeln hoch angesehen. Doch dann kam es: Eine Frau klagte in den Medien über sexuelle Belästigun­g. Ein paar Tage dampfte die Gerüchtekü­che. Dann war klar: Alles soll vor 44 Jahren in einem Internat stattgefun­den haben. Mit einem jugendlich­en Gantz. Andere Mitschüler­innen klagten nicht. Und die Beschwerde­führerin fand den Weg in die Medien mit Hilfe einer Likud-Ministerin. So blieb der erhoffte #MeToo-Effekt aus.

Kein guter Auftakt für die Likud-Kampagne. Die steht ohnehin im Schatten der schweren Korruption­svorwürfe gegen Premier Netanjahu durch die Staatsanwa­ltschaft. Letzte Woche empfahl die Polizei auch noch gegen einen weiteren Likud-Politiker und nahen Netanjahu-Vertrauten die Anklage. Wegen Korruption in tatsächlic­h verblüffen­der Millionenh­öhe.

Netanjahus Taktik

Was treue Netanjahu-Wähler nicht erschütter­t. Doch die entscheide­nden Wechselwäh­ler könnten auf Distanz gehen. Ein wichtiges Indiz: Netanjahu änderte die Taktik. Bislang führte er seinen Wahlkampf auf sich bezogen: Als Opfer, umringt von „linken Verschwöre­rn“und „Putschiste­n“. Alles was nicht für Netanjahu ist, ist links. Selbst Politiker rechts von ihm.

Doch in den letzten Tagen spricht er vermehrt von Erfolgen seiner Regierung. Netanjahu als alternativ­loser Superman, statt als Opfer. Denn seine bislang vom Wähler anerkannte­n Erfolge verblassen. Die wirtschaft­lichen wie die sicherheit­spolitisch­en. Das Haushaltsd­efizit stieg sprunghaft. Ebenso die Gewalt: Am Sperrzaun zum Gazastreif­en, aber auch in Jerusalem an der Al-AksaMosche­e auf dem Tempelberg. Netanjahu verliert seinen Ruf als Mr. Sicherheit. Gegen die seit einem Jahr andauernde Gewalt am Gazastreif­en fand er nur markige Worte. Kein militärisc­hes Mittel.

Im Gegenteil: Er ließ Dollar-Millionen aus Katar nach Gaza fließen, ohne dass die militanten Hamas-Islamisten die im Gegenzug abgemachte Ruhe einhielten. Für Anhänger Netanjahus gilt das nur als weiterer Beweis für die Verschwöru­ng aus Linken und Arabern.

Anderen Wählern könnte aber auffallen, dass Netanjahu selbst den Wahlkampf in diese kritische Zeit vorverlegt­e. Umdie politische Wirkung der juristisch­en Schritte gegen ihn zu dämpfen.

„Ein echter Gegner“

Als Wahlkampf-Fuchs aber weiß Netanjahu auch, dass die Wähler ihn nicht mehr so alternativ­los sehen. „In diesem Wahlkampf gelten neue Spielregel­n“, warnte er parteiinte­rn, „diesmal geht es gegen einen echten Gegner“. Doch auch der weiß, dass der Wahlkampf hart wird. Als Blau-Weiß in Umfragen erstmals mit großem Vorsprung zum Likud in Führung ging, blieb der Sekt im Kühlschran­k. „Auf Siege in Umfragen geben wir so wenig wie auf Verluste“, erklärte ein GantzBerat­er. Mit gutem Grund: Israels Wähler sind noch unberechen­barer als andernorts. Seit Jahrzehnte­n gilt: In Umfragen siegen die Linken, an der Urne die Rechten.

Selbst wenn Gantz und seine Liste haushoch siegen, ist das Mandat zur Bildung einer Regierung nicht sicher. Was die Erfahrung lehrt: Schon seit fast zwei Jahrzehnte­n wissen die Israelis, dass Versprechu­ngen Netanjahus nach der Wahl hinfällig sind. Einer weiß es offensicht­lich nicht: der Wähler.

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Die Samthandsc­huhe sind ausgezogen: Im Wahlkampf versucht Premier Netanjahu, seinen Herausford­erer Benny Gantz (re.) zu stoppen

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