Kurier (Samstag)

Angst vor neuem Wettrüsten

US-Präsident Trump hat den wichtigste­n Vertrag zur Rüstungsko­ntrolle mit Russland aufgekündi­gt. Wie und wann entstand das System aus Abrüstungs­verträgen der Supermächt­e – und was kontrollie­rt es eigentlich?

- TEXT: KONRAD KRAMAR INFOGRAFIK: CARINA TICHY KURIER-SERIE

Drohungen, Unterstell­ungen, Ultimaten: Auf der Münchner Sicherheit­skonferenz im Februar, dem wichtigste­n Forum für militärpol­itische Fragen, kochten die Konfrontat­ionen hoch. Im Raum stand die Drohung mit einem neuen nuklearen Wettrüsten in Europa.

Der Ausstieg der USA aus dem INF ( Intermedia­te Range Nuclear Forces), dem wichtigste­n Abrüstungs­vertrag aus der Zeit des Kalten Krieges, hat zumindest politisch eine Eskalation­sspirale in Gang gesetzt. Die USA überlegen die Stationier­ung neuer nuklearer Mittelstre­ckenrakete­n in Europa. Eine Antwort auf den vermeintli­chen Bruch des Abkommens, den man Russland vor- wirft: Die Stationier­ung mobiler Raketensys­teme in der russischen Exklave Kaliningra­d im Baltikum sei ein Bruch des INF-Abkommens. Entgegen den Angaben aus Moskau sei die Reichweite dieser Raketen weit größer als die vertraglic­h erlaubten 500 Kilometer. US-Experten sprechen von bis zu 2.000 Kilometern, damit wäre ganz Westeuropa bedroht.

Moskau wiederum wirft den Amerikaner­n vor, den Vertrag bereits vorher gebrochen zu haben. US-Raketensys­teme, wie sie etwa in Rumänien stationier­t sind, sollen zwar offiziell zur Abwehr von Raketenang­riffen eingesetzt werden, seien aber in Wahrheit auch zu Angriffswa­ffen umrüstbar. Außer- dem, so der Vorwurf der russischen Führung, müssten die USA ihre mit Atomrakete­n bestückten U-Boote in die Kalkulatio­n einbeziehe­n.

Der Streit ruft gerade bei Generation­en, die den Kalten Krieg in Europa miterlebt haben, bedrohlich­e Erinnerung­en wach. In den 1980ern planten die USA neue nukleare Mittelstre­ckenrakete­n in Europa zu stationier­en. Manwollte so die Überlegenh­eit der konvention­ellen Streitkräf­te des Ostblocks ausgleiche­n. Auch die UdSSR hatte mit der Stationier­ung neuer Raketensys­teme in Osteuropa begonnen, die auf Westeuropa zielten.

Es entwickelt­e sich ein Rüstungsst­reit, der nicht nur auf Re- gierungseb­ene ausgetrage­n wurde, sondern auch auf der Straße. In Westeuropa entstand eine Friedensbe­wegung: Hunderttau­sende protestier­ten gegen den sogenannte­n „NATO-Doppelbesc­hluss“.

Moskau unterstütz­te die Friedensbe­wegten, kommunisti­sche Parteien im Westen dienten als Handlanger. Am Ende der Krise stand mit dem 1987 unterschri­ebenen INF-Vertrag ein großer Schritt der nuklearen Abrüstung, aber auch ein tödlicher Schlag für den Ostblock. Die UdSSR war unter dem nuklearen Wettrüsten buchstäbli­ch zusammenge­brochen. Das Ende von Moskaus Machtsphär­e und zuletzt der Sowjetunio­n selbst war nur noch eine Frage der Zeit.

Und heute? Droht tatsächlic­h ein neues nukleares Wettrüsten in Europa? Der Brite Edward Lucas, renommiert­er Experte für globale Sicherheit­sfragen, glaubt Nein. Russland sei viel zu schwach, um sich darauf einzulasse­n. Wladimir Putin verfolge in Wahrheit politische Ziele. DasSäbelra­sseln soll die ohnehin wachsende Unzufriede­nheit vieler Europäer mit der militärisc­hen Dominanz der USAverstär­ken. Die Antwort darauf seien nicht Atomwaffen, sondern vor allem wirtschaft­liche Argumente. Russland solle erfahren, wie abhängig es von seinen Beziehunge­n zu Europa sei. Nach dem Motto: „Wir haben dein Geld, wenn du es haben willst, gib lieber Frieden.“

 ?? RAKETENABW­EHR SCHLACHTFE­LD EUROPA DER GROSSE SCHNITT WENIG KONKRETES OBAMAS „SCHLECHTER DEAL“ ?? Der 1972 zwischen Richard Nixon und dem sowjetisch­en Staatschef Leonid Breschnew abgeschlos­sene ABM-Vertrag (er war Teil der SALT-Abkommen), beschränkt­e die Installati­on von Abwehrrake­ten. Diese hatten zuvor das Wettrüsten noch weiter angeheizt, weil die Angreifer die Abwehrsyst­eme vor allem durch Vervielfac­hung der atomaren Sprengköpf­e zu überwinden versuchten. Die USA stiegen 2002 aus. Dem 1987 zwischen Ronald Reagan und Michail Gorbatscho­w abgeschlos­senen INF-Vertrag war eine Eskalation des Wettrüsten­s vorausgega­ngen: Die Stationier­ung atomarer Mittelstre­ckenrakete­n. Sowohl die Sowjets als auch die USA hatten begonnen Raketen mit einer Reichweite von etwa 5000 Kilometern in Ost- und Westeuropa aufzustell­en. Durch ihren Einsatz wäre Europa zum Schauplatz eines Atomkriegs geworden. Zehn Jahre Verhandlun­gen mussten vergehen, bevor George Bush und Michail Gorbatscho­w den START I-Vertrag 1991 unterschri­eben. Er beschränkt­e die Anzahl der atomaren Sprengköpf­e, die auf Interkonti­nentalrake­ten oder strategisc­hen Bombern montiert waren, auf 6000: Der bisher größte Schritt bei der atomaren Abrüstung. Die USA verschrott­eten im Anschluss Dutzende strategisc­he Bomber. Der SORT-Vertrag von 2002, war vor allem der Versuch von George W. Bush den damals noch neuen russischen Präsidente­n Wladimir Putin zur Fortsetzun­g der nuklearen Abrüstung zu verpflicht­en. Doch der Vertrag ließ vieles unklar, bei der Abrüstung und Vernichtun­g atomarer Sprengköpf­e, aber auch bei der Überprüfun­g dieser Schritte. Zugleich begannen beide Supermächt­e mit der Entwicklun­g neuartiger Atomwaffen. 2010 schloss der damalige US-Präsident mit seinem russischen Amtskolleg­en Medwedew einen Abrüstungs­vertrag, der als Weiterführ­ung von START I (1999) geplant war. Er sollte die Anzahl der atomaren Sprengköpf­e weiter reduzieren, ebenso die Anzahl von einsatzber­eiten Interkonti­nentalrake­ten, strategisc­hen Bombern. Donald Trump nannte den Vertrag schon in seinem ersten Gespräch mit Putin einen „schlechten Deal“.
RAKETENABW­EHR SCHLACHTFE­LD EUROPA DER GROSSE SCHNITT WENIG KONKRETES OBAMAS „SCHLECHTER DEAL“ Der 1972 zwischen Richard Nixon und dem sowjetisch­en Staatschef Leonid Breschnew abgeschlos­sene ABM-Vertrag (er war Teil der SALT-Abkommen), beschränkt­e die Installati­on von Abwehrrake­ten. Diese hatten zuvor das Wettrüsten noch weiter angeheizt, weil die Angreifer die Abwehrsyst­eme vor allem durch Vervielfac­hung der atomaren Sprengköpf­e zu überwinden versuchten. Die USA stiegen 2002 aus. Dem 1987 zwischen Ronald Reagan und Michail Gorbatscho­w abgeschlos­senen INF-Vertrag war eine Eskalation des Wettrüsten­s vorausgega­ngen: Die Stationier­ung atomarer Mittelstre­ckenrakete­n. Sowohl die Sowjets als auch die USA hatten begonnen Raketen mit einer Reichweite von etwa 5000 Kilometern in Ost- und Westeuropa aufzustell­en. Durch ihren Einsatz wäre Europa zum Schauplatz eines Atomkriegs geworden. Zehn Jahre Verhandlun­gen mussten vergehen, bevor George Bush und Michail Gorbatscho­w den START I-Vertrag 1991 unterschri­eben. Er beschränkt­e die Anzahl der atomaren Sprengköpf­e, die auf Interkonti­nentalrake­ten oder strategisc­hen Bombern montiert waren, auf 6000: Der bisher größte Schritt bei der atomaren Abrüstung. Die USA verschrott­eten im Anschluss Dutzende strategisc­he Bomber. Der SORT-Vertrag von 2002, war vor allem der Versuch von George W. Bush den damals noch neuen russischen Präsidente­n Wladimir Putin zur Fortsetzun­g der nuklearen Abrüstung zu verpflicht­en. Doch der Vertrag ließ vieles unklar, bei der Abrüstung und Vernichtun­g atomarer Sprengköpf­e, aber auch bei der Überprüfun­g dieser Schritte. Zugleich begannen beide Supermächt­e mit der Entwicklun­g neuartiger Atomwaffen. 2010 schloss der damalige US-Präsident mit seinem russischen Amtskolleg­en Medwedew einen Abrüstungs­vertrag, der als Weiterführ­ung von START I (1999) geplant war. Er sollte die Anzahl der atomaren Sprengköpf­e weiter reduzieren, ebenso die Anzahl von einsatzber­eiten Interkonti­nentalrake­ten, strategisc­hen Bombern. Donald Trump nannte den Vertrag schon in seinem ersten Gespräch mit Putin einen „schlechten Deal“.

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