Die Luft für Bullen wird dünner
S&P500-Index. Heute vor zehn Jahren kam es an der Wall Street zur Schubumkehr
9. März 2009: Lange hatte die Finanzkrise reihenweise Aktienkursbeben ausgelöst. Ab diesem Tag aber übernahmen wieder die Optimisten, im Börsenjargon Bullen genannt, das Regiment an den Aktienmärkten. Heute ist diese Rallye bereits zehn Jahre alt – zumindest, was den wichtigsten Index der Welt, den S&P500 der New Yorker Börse, betrifft. Er ist in dieser Dekade nie um 20 Prozent oder mehr zurückgefallen.
Ein derartiger Rutsch wäre ein Signal, dass der Bullenmarkt zu Ende ist. Von Oktober 2007 bis März 2009 hatte sich der S&P500 mehr als halbiert. Seit damals hat er sich in etwa vervierfacht. Bei einzelnen enthaltenen Beispielen schaut das natürlich vollkommen anders aus.
Anleger, die dachten, dass man mit moderner Kommunikation nicht falsch liegen kann, irrten sich zumindest bei CenturyLink. Der amerikanische Telekomkonzern und Internet Provider erwies sich als Mühlstein für die Geldanlage. Die Aktien verlor in den vergangenen zehn Jahren um die fünfzig Prozent an Wert. Als wahre Goldgrube dagegen erwies sich der Streaming-Dienst Netflix mit einem Kursplus von rund 6.600 Prozent. Es ging aber noch besser: Der Kosmetik-Einzelhändler Ulta Beauty, eine Kette mit 1.160 Filialen, brachte es auf ein äußerst dekoratives Plus von mehr als 7.000 Prozent.
3.453 Tage
Im SommerdesVorjahres meldeten Börsianer einen Rekord: Am 22. August war die aktuelle Hausse (Jargon für steigende
Kurse, Gegenteil: Baisse) exakt 3.453 Tage alt. Damit war sie einen Tag älter als die Aufschwungphase, die sich bis 24. März 2000 hielt und im Platzen der dotcom-Blase mündete. Wie viel Luft nach oben hat der aktuelle Bullenmarkt? „Die Chance ist intakt, dass es einen elften Jahrestag für die Rallye gibt“, sagt Monika Rosen-Philipp, Chefanalystin im Private Banking der Bank Austria. Einer der Gründe, warum sich der Aufschwung so lange halte, sei, dass die Anleger ihn mit Skepsis beäugen. Rosen-Philipp: „Die Skepsis nährt die Rallye, es fehlt an übertriebener Euphorie.“
Was ihr im Rückblick aufgefallen ist: Es hat sich eine große Kluft zwischen Ölpreis und Ölaktien ergeben. Letztere standen für die schlechteste Branche im Index. Seit Jahresbeginn zählen die Ölaktien allerdings zu den besten Branchen. „Da gibt es Nachholbedarf, die Schere beginnt sich zu schließen“, sagt Rosen-Philipp.
Zur Erinnerung: Vor zehn Jahren war der US-Riese Exxon der größte Börsenwert im S&P. Heute sind dies Apple, Microsoft, Amazon und Facebook. Im Unter- schied zur dotcom-Blase, bei der Gewinnzahlen durch das Zählen von Klicks ersetzt wurden, machen die USTechnologie- und -Onlineriesen satte Gewinne. Auch das stützt das Index-Niveau.
Steuerreform
Dass der S&P, der für 80 Prozent der US-Börsenwelt steht, im schlechten Aktienjahr 2018 „nur“knapp sieben Prozent verloren hat (der Wiener ATX rutschte um mehr als 21 Prozent ab), war vor allem der US-Steuerreform zu verdanken. „Heuer hat die Steuerreform aber nur noch graduellen Effekt bis Jahresmitte“, sagt Peter Brezinschek, Chefanalyst der Raiffeisen Bank International (RBI). Laut Marktschätzungen würden die Gewinne jener 500 Unternehmen, die im S&P enthalten sind, heuer nur noch um fünf Prozent steigen. „Für das zweite Halbjahr bedeutet das Druck auf die Kurse“, lautet Brezinscheks Prognose. Bis Mai oder Juni könnte das Kursniveau aber schon noch steigen und den S&P in Richtung 2.900 Punkte treiben. Das wäre doch spürbar mehr als der aktuelle Indexstand (siehe Kurskasten unten).
Störfeuer, die die Kurse nach unten drücken, wie gegen Ende des Vorjahres geschehen, kann es aber jederzeit geben. Kommen die USA und China beim Handelsstreiten auf keinen grünen Zweig, werden viele Aktien unter Druck kommen. Das gilt auch für den Fall, dass Trump Autos aus Europa mit Strafzöllen belegt. Oder dass sich die Weltkonjunktur allzu stark einbremst und der Brexit zur Katastrophe wird.
Einen kleinen Vorgeschmack gab es an den Börsen schon diese Woche. Die Europäische Zentralbank senkte ihre Prognose für die Euroraum-Wirtschaft deutlich. Und China musste einen Exporteinbruch vermelden.