Gelbwesten: Armee soll Polizei entlasten
Frankreichs Regierung schickt die Armee los
Angesichts der Eskalation bei den Gelbwesten-Protesten vergangene Woche schickt Frankreichs Regierung jetzt die Armee auf die Straßen von Paris. Die Soldaten sollen Amtsgebäude und wichtige Institutionen schützen. An dem Einsatz gibt es aber erhebliche Kritik. Die schwer bewaffneten Soldaten sind nicht dazu ausgebildet und auch nicht ausgerüstet, um Straßenproteste zu kontrollieren. Für Präsident Macron war die Eskalation der vergangenen Woche ein schwerer Schlag. Das Abflauen der Proteste zuletzt hatte sein Ordnungshüter-Image gestärkt. Dieses ist jetzt wieder angekratzt. 70 Prozent der Franzosen glauben nicht, dass er für Ruhe sorgen kann.
Frankreichs Staatsführung steht heute, Samstag, eine Feuerprobe bevor, die hoffentlich nicht im wortwörtlichen Sinn erfolgen wird. Zum ersten Mal seit Beginn des Aufruhrs der „Gelbwesten“vor vier Monaten wird die Armee zum Einsatz kommen.
Die Militärs sollen allerdings nicht direkt in Zusammenstöße mit Demonstranten eingreifen, sondern nur Amtsgebäude bewachen. Dadurch würden mehr Polizisten zur Verfügung stehen, um die Aufmärsche der „Gelbwesten“zu bändigen, beteuert die Regierung. Aber Generäle warnen inoffiziell: Die Soldaten, die mit Schnellfeuerwaffen patrouillieren, seien weder dafür ausgerüstet noch dafür ausgebildet, um in Friedenszeiten wütende Demonstranten in Schach zu halten.
Tatsächlich ist die Argumentation der Regierung zumindest unklar. Schon bisher kam es vor, dass „Gelbwesten“Regierungsgebäude attackierten. Der Oberbefehlshaber der Armee im Großraum Paris erklärte, dass bedrohte Soldaten „das Feuer eröffnen müssten“. Dazu würde es nicht kommen, versichern Regierungskreise und verweisen auf PolizeiEinheiten, die sich schützend vor die Soldaten stellen würden. Womit aber die Polizei-Kräfte wiederum gebunden wären.
Zu hart, zu weich
Aber diese Ungereimtheiten, die die Opposition jetzt gnadenlos gegenüber Präsident Emmanuel Macron ausschlachtet, sind Ausdruck einer extrem „schwierigen Gleichung bei der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung“, wie das ausgewogene katholische Blatt La Croix konstatiert. Seit Beginn der Gelbwesten-Krise werfen meistens die selben Oppositionspolitiker Macron sukzessive „zu harte“und „zu weiche“Reaktionen vor.
In Wirklichkeit hat die Regierung versucht, die „Gelb- westen“gewähren zu lassen und gleichzeitig die Gewalttaten zu begrenzen. Dass es dabei auch zu schweren Verletzungen von Demonstranten kam, ist Folge des Einsatzes von Gummigeschossen und hoch explosiven Tränengasgranaten durch die Polizei. Aber für die Polizei waren diese stellenweise die einzige Möglichkeit, eine rabiate Menge auf Distanz zu halten.
Sozialpolitisch hat Macron Zugeständnisse in der Höhe von zwölf Milliarden Euro an einkommensschwächere Bevölkerungsgruppen gemacht. Der von Macron ge- tragene landesweite „Grand Débat“, mit 10.000 BürgerVersammlungen, bot eine einzigartige Gelegenheit zur Mitsprache. Zwar haben daran verhältnismäßig wenig Anhänger der „Gelbwesten“teilgenommen. Aber Macron schuf dadurch selber eine große Erwartungshaltung, der er durch Neuerungen nun Rechnung tragen muss.
All diese Bemühungen, die zu einer gewissen Beruhigung der Situation beigetragen hatten, wurden aber am vorigen Samstag durch die Verwüstungen und Brandlegungen auf den Champs-Elysées teilweise wieder zunich- tegemacht. Die Polizei überließ stundenlang die Prachtavenue ein paar Tausend Demonstranten, aus deren Mitte heraus ein paar Hundert ihr Zerstörungswerk vollbrachten.
Letzter Joker
Das Versagen der Polizei nährte sich aus mehreren Faktoren: Am selben Samstag musste sie in Paris einen noch viel größeren, allerdings friedlichen Marsch für die „Rettung des Klimas“, eine Anti-RassismusDemo und eine Blockade-Aktion mit 400 Lkw von KirtagsSchaustellern sichern. Die Einsatzkräfte waren auf die ganze Stadt verstreut. Wegen der Gefahr allzu vieler Verletzter durfte die Polizei nicht mit Gummigeschossen auf die Demonstranten schießen.
Jetzt erbrachte eine Umfrage, dass 70 Prozent der Franzosen Macron nicht zutrauen, er könne die „öffentliche Ordnung wieder herstellen“. Damit könnte Macron sein letzter Joker entgleiten. Das wenige Oberwasser, das er vor dem verheerenden letzten Samstag gewonnen hatte, verdankt er dem Umstand, dass er bei dem Teil der Bevölkerung, der sich vor dem Gelbwesten-Chaos fürchtet, als Ordnungsbewahrer punkten konnte.
Heute und in den folgenden Wochen hofft Macron, seinen diesbezüglichen Imageverlust wieder wettzumachen: Polizei und Gendarmerie wurden angewiesen, Ansammlungen sofort aufzulösen, sollte die Anwesenheit „gewaltbereiter Elemente“festgestellt werden. Die Greiftrupps der Polizei haben freie Hand, um„auf Nah-Kontakt“zu gehen, der Einsatz der Gummigeschosse ist wieder voll genehmigt.