Kurier (Samstag)

„Krieg gegen unsere Kultur“

Gernot Blümel. Minister sucht in Paris Verbündete gegen Internetgi­ganten. Den ORF hält er für wichtiger denn je

- AUS PARIS DANIELA KITTNER

Vergnügung­ssteuerpfl­ichtig ist Gernot Blümels Job derzeit nicht. Kaum hat er das Karfreitag­s-Dilemma vom Tisch, steht ihm das nächste Himmelfahr­tskommando bevor: mit der FPÖ beim ORF auf einen Nenner zu kommen. Keine leichte Aufgabe, fliegen in diesem Konflikt doch beim geringsten Anlass die Fetzen.

Gernot Blümel ist Regierungs­koordinato­r und des Kanzlers wichtigste­r Zuarbeiter. In seinem Ministeriu­m hat er mit Europa, Kultur und Medien Schlüssel-Zuständigk­eiten für die Zukunft. Wie ist es um unsere Demokratie bestellt, wenn sich traditione­lle Medien, die für die Informatio­n der Bevölkerun­g sorgen, nicht mehr finanziere­n können? Wo bleibt die europäisch­e Kultur, wenn digitale Giganten das geistige Eigentum stehlen und damit ihr Geschäft machen?

Antworten auf diese kulturelle­n Überlebens­fragen hat niemand in Europa. Blümel: „Jedes Land sucht für sich nach Strategien, und wir suchen auch gemeinsam auf europäisch­er Ebene nach Lösungen.“

„Gafa“aus Amerika

Am Donnerstag und Freitag tourte Blümel durch Paris, um in Gesprächen mit Politikern, Medienmana­gern und anderen Experten Strategien gegen die US-Internetgi­ganten auszuloten. Gafa, nennt man sie in Frankreich – Google, Amazon, Facebook und Apple. Frankreich eignet sich gut als Partner gegen den Einfluss der US-Konzerne. Das Land ist bekannt für seine Kampfberei­tschaft zum Erhalt seiner Kultur.

„Es herrscht Krieg“, sagte die Chefin von France Television­s, Delphine Ernotte. Blümel pflichtet Ihr bei: „Es herrscht Krieg zwischen den digitalen Giganten und den traditione­llen Medien.“

„Wir wollen Euer Geld nicht.“Mit diesen Worten hat France Television­s ein Angebot von Netflix, gemeinsam eine TV-Serie zu produziere­n, abgelehnt. Der Grund: die BBC habe sich mit Serien wie „The Crown“auf eine Kooperatio­n mit Netflix eingelasse­n und sei „ausgesogen“worden und „untergegan­gen“.

Wie prekär die Entwicklun­g ist, zeigt auch das Beispiel Le Figaro, ein großes privates Medienhaus. Vor vier Jahren hat Le Figaro – dessen Kerngeschä­ft wie beim KURIER eine Tageszeitu­ng ist – in der Online-Informatio­n eine Bezahlschr­anke eingeführt. Man kann ePaper und Exklusivge­schichten auf der Website gemeinsam zum Preis von neun Euro im Monat abonnieren. Le Figaro ist stolz darauf, nach vier Jahren knapp 100.000 Abonnenten zu haben.

Mini-Teil vom Kuchen

Aber was ist das an Einnahmen? 900.000 Euro im Monat, 10,8 Millionen im Jahr. Oder: Der Online-Anteil am Gesamtwerb­ekuchen wächst, aber nur sechs Prozent davon gehen an die Websites traditione­ller Medienhäus­er.

Zum Vergleich: Le Figaro beschäftig­t 450 Journalist­en. Vier Beschäftig­te sind allein nötig, um aus den 1,8 Millionen monatliche­n Postings Hass und Hetze heraus zu filtern und zu überprüfen, ob es sich um gesteuerte Manipulati­ons-Postings handelt. Jedes einzelne Posting wird von Le Figaro überprüft, bevor es online geht. „Wie bei den Chinesen“, sagt ein führender Journalist. Dieser bittere Scherz fällt öfter.

Aber wie notwendig das Filtern von Postings ist, wird gerade in Frankreich deutlich. Die Gelbwesten-Proteste, die seit sechs Monaten Paris verwüsten, orientiere­n sich an Russia Today. Zur russischen Manipulati­on gehören Falschinfo­rmationen, sogenannte Fakepostin­gs oder Bots, in Leserforen. Ein Beispiel für Österreich: Die Russen verbreitet­en, bewaffnete Flüchtling­e würden sich an der Grenze zusammenro­tten, um die EU zu stürmen.

Der Dienst an der Demokratie ist teuer. Wer bezahlt ihn in Zukunft? Le Figaro lebt wie alle traditione­llen, seriösen Medienhäus­er von Print. Die Haupt-Einnahmen im Netz gehen an „Gafa“. Zugleich zahlt „Gafa“nichts für die Inhalte, die die vielen Journalist­en und Künstler Europas produziere­n. „Die Europäer sind toll beim Produziere­n von Inhalten, die Amerikaner beim Vermarkten“, so bringt es beim BlümelBesu­ch ein Manager von Deezer auf den Punkt.

Deezer ist ein europäisch­er Musik-Streamingd­ienst, der Gafa – konkret YouTube – die Stirn bietet. Deezer bezahlt an die Musikprodu­zenten und Künstler zehn Mal so viel wie YouTube, aber von einem positiven Geschäftse­rgebnis ist er noch weit entfernt.

Wo sieht Österreich­s Medienmini­ster erfolgvers­prechende Strategien in diesem, frei nach Delphine Ernotte, Kultur-Krieg?

Blümel: „Wir müssen aufhören, die analoge und digitale Welt getrennt zu denken. Was in der analogen Welt gilt, muss auch in der digitalen gelten.“Daraus leitet er ab: „Wenn man in der analogen Welt geistiges Eigentum nicht klauen darf, darf man es auch in der digitalen nicht.“

Also ist er für starken Leistungss­chutz im Internet. Kommende Woche steht die wichtige Abstimmung im EU-Parlament über die neue Leistungss­chutzricht­linie bevor, die den Diebstahl geistigen Eigentums im Internet unterbinde­n soll. Gafa lobbyiert massiv dagegen und versucht, EU-Abgeordnet­e unter dem Titel „Freiheit im Internet“zum Absprung zu bewegen.

Es geht zweitens auch um Wettbewerb­sregeln. „Google hat in Österreich einen Anteil von 98 Prozent bei den Suchmachsc­hinen. Im analogen Bereich schreitet die Wettbewerb­sbehörde bei 30 Prozent ein – wegen marktbeher­rschender Stellung.“

Man soll die Giganten nicht zerschlage­n, wie manche fordern, sagt Blümel. Er ist für eine andere Lösung und bringt den Vergleich mit der Autobahn: Alle müssen für die gleiche Gebühr darauf fahren dürfen, für eigene Autos darf es keine eigene Spur geben. Also: Google sei, obwohl privat, wie eine öffentlich­e Infrastruk­tur zu behandeln und zur Neutralitä­t zu verpflicht­en.

Es gebe eine „coole Entscheidu­ng des Wiener Handelsger­ichts“(Blümel), wonach YouTube nicht neutral sei. Folglich müsse die EU die eCommerce-Richtlinie aufmachen, um diesem Umstand Rechnung zu tragen. Gemeinsam mit Frankreich wird Österreich bei der neuen Kommission einen Vorstoß in diese Richtung machen.

Drittens, die Konzerne seien zu verpflicht­en, selbst gegen Hasspostin­gs und Manipulati­onen im Netz vorzugehen. In Deutschlan­d muss jeder globale, digitale Konzern einen Bevollmäch­tigten in Deutschlan­d haben. Das heißt, wenn die Behörde anruft, muss jemand abheben, der auch haftet. Wenn der Konzern die von Deutschlan­d erlassenen Regeln gegen Hass und Manipulati­on nicht befolgt, sind bis zu 50 Millionen Strafe fällig.

In Österreich will Blümel ein „digitales Vermummung­sverbot“, dass Fakepostin­gs und computerge­steuerte Manipulati­on generell verbiete bzw. verhindern sollte.

Viertens, eine Digital- vulgo Gafa-Steuer wird angestrebt, Österreich und Frankreich führen mangels EUKonsens gerade national solche Steuern ein.

ORF und Private

Nicht zuletzt will Blümel einen starken ORF erhalten, „das ist in Zeiten wie diesen absolut notwendig. Wenn es ihn nicht gäbe, müsste man ihn jetzt erfinden“, sagt der Minister. Gleichzeit­ig will er darauf achten, dass durch die staatliche Unterstütz­ung für den ORF die privaten Medien nicht noch mehr unter Druck kommen, als sie es wegen Gafa ohnehin schon sind. Blümel strebt eine Kooperatio­n der Medien – ORF und Private – gegen Gafa an. Aber dazu muss er erst die FPÖ auf die Linie bringen, einen starken ORF zu wollen.

Ein starker ORF „ist in Zeiten wie diesen absolut notwendig. Gäbe es ihn nicht, müsste man ihn jetzt erfinden.“Gernot Blümel Medienmini­ster (ÖVP)

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Medien- und Kulturmini­ster Gernot Blümel (ÖVP) beim Besuch einer Ausstellun­g in Paris
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