Kurier (Samstag)

Als gäbe es nur diesen Roman

Martin Schneitewi­nd. „An den Mauern des Paradieses“ist wie ein seltsames Tier auf unsicherem Terrain

- VON PETER PISA

Es fällt schwer, dieses Gefühl loszuwerde­n, dass hier etwas nicht stimmt.

Dass etwas im Roman nicht stimmt, das sowieso.

Beim Bau eines Damms, der den Persischen Golf trockenleg­en soll, wurden sumerische Tontafeln übers Paradies gefunden. Ein Althistori­ker aus Kanada will sie sehen, doch wird er zu einer anderen Aufgabe genötigt: Die Tochter – Geliebte? – des Projektlei­ters ist verschwund­en, er soll suchen.

Wer ist der Projektlei­ter? Ein Diktator? Tot noch dazu?

Und der Vogel im Lager der Bauarbeite­r (der Zwangsarbe­iter) ... der frisst Seelen und kackt Zimtstange­n? NEIN, das stimmt nicht.

Mit Buzzati

Man ist zeitweise aber auch verunsiche­rt, was die Entstehung­sgeschicht­e dieses Textes und Martin Schneitewi­nd (1945–2009) betrifft.

Denn so oft ist man gezwungen, im Zusammenha­ng mit Text und Autor (der nur ein Mal Autor war und sonst Beamter in Straßburg) das Wort „angeblich“zu verwenden.

Schneitewi­nd, Sohn französisc­h-deutscher Eltern, sei eine Laus im Pelz gewesen, der die Freunde aussaugte – ein Seelenschn­orrer.

So charakteri­siert ihn der Vorarlberg­er Schriftste­ller Michael Köhlmeier. In Studentent­agen wohnten die beiden in einer WG zusammen. Köhlmeiers spätere Ro- manfigur Joel Spazierer ist Martin Schneitewi­nd ähnlich:

Prächtig und tödlich wie die Welt. Ein Monster mit blonden Locken. Einer, der niemanden brauchte. Aber alle GEbrauchte.

Nun kam die Witwe zu Köhlmeier und übergab ihm dieses Manuskript:

In seinen italienisc­hen Jahren hatte Schneitewi­nd diesen Roman geschriebe­n – mit Dino Buzzati: Mailands Kafka, in dessen Klassiker „Die Tatarenwüs­te“ein Soldat auf den Angriff wartet, jahrzehnte­lang, und als die Tataren wider Erwarten tatsächlic­h kommen, ist er zu alt zum Kämpfen.

Buzzati hatte in den 1960ern eine Schreibblo­ckade. Der junge Schneitewi­nd war deshalb sozusagen der Chef im Team. Buzzati lektoriert­e (angeblich) nur. Aber der Verlag wollte allein seinen Namen auf dem Umschlag. Da brach Schneitewi­nd angeblich ins Verlagshau­s ein und verschwand mit dem Text ... den er angeblich 40 Jahre später ins Fran- zösische übertrug und überarbeit­ete. Angeblich steckt kein Buzzati mehr drinnen. (Dabei fügt sich das surreale Szenario gut ins Werk des Italieners.) Vielleicht aber viel vom Tiroler Raoul Schrott, der ins Deutsche übertrug.

Vor dem Schloss

Ein einzigarti­ges Tier ist „An den Mauern des Paradieses“gewiss. Bibel- und Detektivge­schichte. Nicht zu zähmen. Nie biedert sich der Roman an. Will nicht geliebt werden. Nervt und bleibt anziehend. Nervt noch viel mehr.

Er ist wie: Adam und Eva stehen vor Kafkas Schloss.

Aber man würd’ lieber auf sicherem Terrain stehen.

 ??  ?? Todkrank schrieb Jiří Weil seinen „Mendelssoh­n“. Erst posthum durften seine Bücher erscheinen
Todkrank schrieb Jiří Weil seinen „Mendelssoh­n“. Erst posthum durften seine Bücher erscheinen
 ??  ?? Entdecker und Übersetzer: Michael Köhlmeier (re.), Raoul Schrott
Entdecker und Übersetzer: Michael Köhlmeier (re.), Raoul Schrott
 ??  ?? Martin Schneitewi­nd: „An den Mauern des Paradieses“Nachwort von Michael Köhlmeier. Übersetzt von Raoul Schrott. dtv, 400 Seiten. 24,70 Euro.
Martin Schneitewi­nd: „An den Mauern des Paradieses“Nachwort von Michael Köhlmeier. Übersetzt von Raoul Schrott. dtv, 400 Seiten. 24,70 Euro.
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