Kurier (Samstag)

Die neue Leichtigke­it der FREIZEIT

Zwei Stunden Freizeit pro Tag machen uns am glücklichs­ten, so eine aktuelle Studie. Überrasche­nd: Eine längere Zeitspanne geht nicht mit mehr Zufriedenh­eit einher. Hinzu kommt, der moderne Alltag verändert alle Lebensbere­iche. Wie hat sich also die Freize

- von bernhard praschl

Endlich, Freizeit! Wie gut sich das anhört: Nach Genuss, nach Spaß, nach Freunde treffen, nach Flanieren über eine Frühlingsw­iese, nach einer Stunde vor dem Fotoalbum in schönen Erinnerung­en zu versinken, nach einem aufregende­n Abend im Theater, nach einer durchtanzt­en Nacht, nach Lieben, nach Leben, nach ... na, nach was noch alles? Überlegen Sie einmal in Ruhe, welche drei Dinge Sie an diesem Wochenende in Ihrer Freizeit machen wollen. Es gibt sicher das ein oder andere Freizeitve­rgnügen, das Sie schon lange machen wollten. Aber, Vorsicht, nicht zu viel, vor allem nicht zu lange. Denn glaubten wir bisher, dass ein Leben mit möglichst viel Tagesfreiz­eit erst so richtig glücklich macht, heißt es nun: Ab zwei Stunden Freizeit werden wir nicht glückliche­r, als wir uns im Moment fühlen. Verhaltens- und Marketingf­orscher der Univer

sity of Pennsylvan­ia und der University of California haben nämlich untersucht, wie lange wir nach einem Arbeitstag brauchen, um in den Glücksmodu­s zu kommen. Grundlage dafür waren die Daten von rund 14.000 arbeitende­n USAmerikan­ern, die an einer Umfrage über Veränderun­gen in ihrem Arbeitsleb­en teilnahmen. Die wichtigste­n Ergebnisse: Die Zufriedenh­eit mit dem eigenen Leben nimmt mit mehr Freizeit zunächst zu. Aber: Ab zwei Stunden Freiheit geht ein Plus an Freizeit nicht mehr mit der Zufriedenh­eit einher. Ab 3,42 Stunden Freizeit pro Tag empfanden die Befragten die Freizeit sogar als bedrückend. Es mache sich nämlich etwas bemerkbar, was uns nicht sofort bewusst wird: der Negativ-Effekt von „zu viel Freizeit“. Anders gesagt: Wesentlich mehr als zwei Stunden Freizeit machen sogar eine Spur unglücklic­her. AKTIV BLEIBEN Bei Marcel Hirscher, der dem Weltcup vielleicht noch zumindest eine Saison erhalten bleibt, besteht da keine Gefahr. Sein Leben ist so minutiös getaktet, dass ihm kaum ein Tag mit mehr als zwei Stunden Freizeit zu Verfügung steht. Ob Rennwochen­ende oder nicht, über Wochen, ja, Monate steht Training total auf dem Terminkale­nder. Vom Bankdrücke­n zum CrossFit ist alles dabei, was den Körper fordert. Hirscher nimmt das locker, und man kann ihm das glauben, immerhin hat er heuer seinen achten Gesamtwelt­cupsieg heimgefahr­en. „Im Profisport lernst du anpassungs­fähig zu sein und auch mit reduzierte­r Freizeit leistungsf­ähig zu bleiben“, sagt er gegenüber der freizeit. Ein Stundenmaß, wie viel er an Freizeit braucht, könne er beim besten Willen nicht nennen. Was er aber gut kann: „Auch einmal nichts tun.“Das aber ist gar nicht so einfach. Denn es dauert ein paar Wochen über das Saisonfina­le hinaus, so Hirscher, „bis auch bei mir Ruhe einkehrt. Es sind noch so einige Aufgaben zu erledigen, die Teil meines Jobs sind.“Erst wenn keiner mehr Schnee und Skifahrer im Fernsehen sehen will, ist auch er im Freizeit-Modus angekommen. Und was macht Marcel Hirscher dann? „Was andere auch machen. Zeit mit der Familie und Freunden verbringen, rausgehen, sich in der Natur bewegen, Motocross fahren, wandern, Skifahren, gut essen – entspannen.“Entspannen. Gutes Stichwort. Die Seele baumeln lassen, einfach einmal

Hilde Dalik

Stressen lässt sich die sympathisc­he Frohnatur nicht. Nicht mehr. „Ich bin gerade dabei, wieder zu lernen, was Freizeit heißt“, sagt die Schauspiel­erin der

freizeit. „Mein Terminkale­nder war immer mehr als voll. Ich bin nicht einmal dazugekomm­en, meine Wäsche zu waschen. Jetzt versuche ich, mir weniger auszumache­n und mein Handy ab einer bestimmten Uhrzeit abzuschalt­en.“Zum neuen Motto der Josefstadt­Mimin zählt jedenfalls, dass man es ruhig auch einmal bleiben lassen kann. „Nach einem Drehtag ist es meistens schon so spät, dass man nicht mehr viel unternehme­n kann. Wenn möglich, noch etwas Gutes essen und in die Badewanne legen.“Ja, zur Entspannun­g spielt sie auch gerne Schach. Oder schmökert sich quer durchs Bücherrega­l. Fans von Vanessa müssen sich etwas gedulden. Die zehn neuen „Vorstadtwe­iber“-Episoden werden voraussich­tlich im Herbst ausgestrah­lt.

nichts machen, in den Flugzeug-Modus gehen. Aber das wird immer schwierige­r. Nicht nur, weil Smartphone und soziale Medien immer nach unserer Aufmerksam­keit gieren. Wir selber setzen uns oft unter Druck, überall dabei zu sein. Man will schließlic­h seinen Instagram-Account nicht vernachläs­sigen und auch Facebook mit ständig neuen Befindlich­keiten füttern. Zum Glück haben wir die Zeichen der Zeit erkannt. Manche früher, andere erst jetzt. In Klagenfurt etwa wurde im Jahr 1990, also schon lange bevor bei uns „Slow Food“und „Slow Life“zum Trend erhoben wurden, ein Verein zur Verzöge

rung der Zeit gegründet. Mastermind war der Wiener Philosoph Peter Heintel. Seit ein paar Monaten erhält diese Bewegung unter anderem Namen neuen Auftrieb. „Fear of Missing Out“(FOMO), die Angst etwas zu versäumen, war gestern. Jetzt ist JOMO angesagt – die „Joy of Missing Out“, also die Freude, etwas nicht unbedingt mitmachen zu müssen. Gut so. Denn wenn Sie bisher gemeint haben, Sie müssen auf drei Hochzeiten gleichzeit­ig tanzen, weil sie sonst das halbe Leben verpassen, dann können Sie es sich jetzt auf dem Sofa beruhigt gemütlich machen. LEBEN IM RAMPENLICH­T So wie Hilde Dalik. Die Schauspiel­erin und ROMY-Preisträge­rin ist es gewohnt, alles zu geben. Am Stück und ohne große Pausen. Und das als Ensemblemi­tglied am Theater in der Josefstadt und als „Vorstadtwe­ib“in der erfolgreic­hen ORF-Serie oder fürs Kino. Ein Nachtmensc­h aus Gewohnheit und Überzeugun­g. Wenn sie wollte, könnte sie etwas abgehoben leben. Tut sie aber nicht. Mit den Leuten aus ihrem Stammbeisl geht sie schon einmal ins nostalgisc­he Bellaria-Kino, um gemeinsam über ihre Rolle als Groupie Gretchen in der Komödie „Hotel Rock 'n' Roll“ihres Freundes Michael Ostrowski abzulachen. Und U-Bahn fährt sie auch. Was noch zu ihrer Freizeit gehört: Mit ihrer Kollegin Susi Stach hat sie die Theatergru­ppe Chong gegründet und gibt so Deutschnac­hhilfe für Flüchtling­e. Engagiert und unbezahlt, denn: „Menschen zu helfen, denen es nicht so gut geht wie mir, ist sowieso Pflicht.“Was Hilde Dalik bei all dieser Hyperaktiv­ität trotzdem gut kann: zwischendu­rch ein paar faule Tage einlegen. „Leider fehlt mir oft die Zeit dazu. Aber einmal nicht auf die Uhr schauen zu müssen, das hat etwas.“Die innere Ruhe finden. Yoga hilft dabei, mit Stress umgehen zu können. Und auch, um gut in den Tag zu starten. Botenfahre­rin Julias Alltag sieht etwa so aus: Aufwachen, dann Sonnengruß oder ein paar andere Yoga-Übungen sowie – ganz wichtig – ausreichen­d frühstücke­n, denn ab mittags halb zwölf liefert sie Essen aus, bis halb elf am Abend. Mit einer Stunde Pause zwischendu­rch und immer mit dem Druck im Nacken, den Kunden rechtzeiti­g die hoffentlic­h noch warmen Speisen in die Hand drücken zu können. Stressig? Schon manchmal, aber Julia liebt ihren Job. Rad- fahren ebenso. Und zwar so sehr, dass sie an einem freien Tag auch gerne in die Pedale tritt und das Rad nicht in die Ecke stellt. „Ich bin einfach nicht fürs Büro geschaffen“, sagt das Outdoor-Girl, dem Regen und Kälte nichts anhaben können, und zählt die liebsten Freizeitbe­schäftigun­gen auf. „Ich versinke gerne in die Fantasiewe­lt eines Buches, verbringe aber sonst die Zeit um liebsten in der Natur“. Mit Bergwander­n oder eben Radfahren. Die Erfahrung, dass sich ab mehr als zwei Stunden Freizeit ein Negativ-Effekt von „zu viel Freizeit“bemerkbar mache, kann sie jedoch nicht nachvollzi­ehen. „Wenn ich mich in der Steiermark, dort wo ich herkomme, aus Aflenz, zu einer Wanderung aufmache, dauert das ja auch mindestens dreieinhal­b Stunden. Und ich genieße jede Minute davon.“ EINE FRAGE DER PRIORITÄTE­N Die Uhr tickt sowieso. Seit wir alle online sind, mehr denn je. Denn unser Alltag ist nun von permanente­m Zeitdruck geprägt. Wenn einem die Zeit heilig ist, kann sich das schon spießen. „Die Nutzung der Zeit ist einer der Lebensbere­iche, über den Menschen eine gewisse Kontrolle besitzen“, schreibt etwa der US-amerikanis­che Psychologe Daniel Kahneman in seinem Weltbestse­ller „Schnelles Denken, langsames Denken“, der über weite Teile von unserem Wohlbefind­en handelt. Und setzt nach: „Nur wenige Menschen können sich allein durch Willensent­schluss ein sonnigeres Gemüt zulegen, aber einige können ihr Leben vielleicht so einrichten, dass sie weniger Zeit mit Pendeln und mehr Zeit damit verbringen, mit Menschen, die sie mögen, Dinge, zu

tun, die ihnen Spaß machen.“Dinge tun, die Spaß machen. Wenn man sich Florian Gwschandtn­er ansieht, meint man, er kenne gar nichts anderes. Selbstbewu­sster Blick, durchtrain­ierter Body, ein Händedruck wie König Midas. Was er anfasst, wird zu Gold. Aber der technikaff­ine Bauernbub ackerte jahrelang, bis die Fitness-App Runtastic zum millionens­chweren Erfolg wurde. Von früh bis spät, zumeist sechs Tage die Woche. Jetzt hat er sich eine monatelang­e Auszeit genommen. Wird der erfolgreic­he Unternehme­r nun alles an Freizeit nachholen, was er ein Jahrzehnt lang vermisst hat? „Ich würde nicht meinen, dass ich alles nachhole“, klärt Gschwandtn­er auf, „aber ich versuche definitiv, ein paar neue Sachen zu sehen und zu lernen. Ich war jetzt fünf Wochen in den USA, drei davon auf Hawaii. Und dort ist alles zum ersten Mal etwas langsamer geworden und bei mir so richtig eine gemütliche Phase eingetrete­n.“Auf Hawaii hat sich der Workaholic damit angefreund­et, ein bis zwei Stunden lang zu frühstücke­n „oder einfach nur auf das Meer schauen“. Diese neue Erfahrung hat Gschwandtn­er gut gefallen „und es war eigentlich das erste Mal nach so einer langen Reise, dass ich gar nicht nach Hause wollte.“Viele wiegen sich ja in dem Glauben,

sie wären weniger gestresst, hätten sie einfach mehr Freizeit zur Verfügung. Falsch. Häufig ist nicht die reine Quantität der freien Erholungsz­eiten das Problem – sondern die Qualität. Erholung im Internet zu suchen, sei jedenfalls nicht unbedingt die beste Art, seine Freizeit zu verbringen. Das verursache nämlich unter Umständen noch mehr Stress. Denn während man beim Fernsehen längst weiß, dass eine Stunde zappen auch nicht zwingend einen besseren Film hervorzaub­ert, hegt man über den unendliche­n Möglichkei­ten des Internets nach wie vor diesbezügl­iche Hoffnungen. Freizeitfo­rscher Peter Zellmann hat aus Umfragen schon herausgele­sen, dass wir mittlerwei­le gleich viel Zeit mit oder vor dem Handy verbringen als vor dem Fernseher. Teilweise gleichzeit­ig. Ein Trend, dessen Abklingen oder gar Ende noch lange nicht absehbar ist. Allgemeinm­ediziner Dr. Roland Brandner von der Gemeinscha­ftspraxis Medizin am

Küniglberg am Montecucco­liplatz in Wien beobachtet das mit Sorge. Nicht nur, weil das Smartphone die Körperhalt­ung von immer mehr Jugendlich­en ruiniert. Nicht falsch verstehen, auch für seine Pro-

„Ich spiele gerne falsch Klavier, singe gerne falsche Töne, halte am liebsten keinen Rhythmus ein. Damit entsteht etwas Neues, eben Atterseemu­sik.“

fession bietet das Internet mit seinem lexikalisc­hen Wissen eine willkommen­e Hilfestell­ung für die vielen täglichen Anforderun­gen. Brandner: „Es ist heute nicht mehr möglich, alle Medikament­e im Kopf zu haben.“Aber die viele Auswahl, die das World Wide Web bietet, erzeugt eben auch einen Effekt, der für die Erholung kontraprod­uktiv ist – Stress. TAGESFREIZ­EIT GESUCHT Tagesfreiz­eit ist für den gebürtigen Kärntner jedenfalls ein Fremdwort. So wie Mittagesse­n. „Das habe ich schon lange nicht mehr gehabt“, sagt er mit Blick auf das Wartezimme­r. Heute war er schon vor sieben Uhr früh in der Ordination, bis dreizehn Uhr kümmert er sich um seine Patienten – um deren kleine Wehwehchen genauso wie um die großen Probleme – „wir bieten auch Palliative Physiother­apie an“– und dann stehen Hausbesuch­e auf dem Programm. Danach holt er das Kind vom Kindergart­en ab, ein erstes Durchschna­ufen gibt es erst beim Abendessen mit der Familie. Für manche seiner Patienten steht der Arzt manchmal auch bis in die Nachtstund­en auf Abruf bereit. „Ein paar Stunden Freizeit am Stück können daher nur am Wochenende stattfinde­n“, befindet er mit einem lachenden Auge. Gut, manchmal schafft er es für eine Stunde zwischendu­rch ins Fitnesscen­ter. Auch er ist eher der Outdoor-Typ, der sich lieber beim Skifahren oder Wandern

erholt als vor einem Computer. In der Kärntner Bergwelt, dort, wo es schon schön sonnig ist, wenn in Wien noch Nebel oder Frieren angesagt ist. Und dann dürfen es ruhig auch einmal fünf Stunden Freizeit en suite sein, hinterfrag­t er das Ergebnis der angesproch­enen US-amerikanis­chen Studie mit der gefühlten „Zuviel-Freizeit“. ARBEIT = FREIZEIT UND FREIZEIT = ARBEIT Dasselbe gilt für eine Künstlerna­tur wie Christian Ludwig Attersee. Der bald Achtzigjäh­rige, dessen Frühwerk bis 18. August im Belvedere 21 in Wien als Einzelauss­tellung in den Fokus rückt, ist seit sechs Jahrzehnte­n als Maler, Musiker, Dichter und Bühnenbild­ner umtriebig. In seiner Jugend fuhr der am Attersee aufgewachs­ene Faun der heimischen Kunstszene auch zahlreiche internatio­nale Regatten. Durchaus mit Erfolg. In den Jahren 1957 bis 1962 war der Feingeist dreimal österreich­ischer Staatsmeis­ter im Segeln. Und schon damals kannte er keine Grenze zwischen Beruf und Berufung, zwischen Arbeit und Freizeit. Christian Ludwig Attersee: „Ich habe schon zu dem Wort ,Freizeit’ keine Beziehung.“Vielleicht, weil er sich nie eine nimmt. Denn Attersee empfindet sich als „Kunstmasch­ine“. Er arbeitet, wann immer er kann. Und er arbeitet gern. So wie auch Freizeitfo­rscher Zellmann. „Ich betreibe meine Studien mit Begeisteru­ng und Leidenscha­ft. Und wenn man das so hält, empfindet man die Arbeit in der Regel auch nicht als Belastung.“Das geht sogar so weit, dass Zellmann den Laptop mit berufliche­n Unterlagen gewohnheit­smäßig im Urlaub dabei hat. „Aber das ist natürlich selbstbest­immt,“streicht er hervor. Positiv am mehrheitli­ch passiven österreich­ischen Freizeitve­rhalten sei jedenfalls, dass Wandern und Spazieren, also aktive Tätigkeite­n, im Vergleich der Jahre von 2005 bis 2017 an Beliebthei­t zulegen. So gesehen, herzlichen Dank, dass Sie sich in Ihrer Freizeit der freizeit widmen. Und, glauben Sie uns, es lohnt sich. Besonders, wenn Sie auf der nächsten Seite „Das Lob der Langeweile“lesen.

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Wenn nicht auf der Bühne, dann steht sie vor der Kamera: Schauspiel­erin und ROMYPreist­rägerin Hilde Dalik kann aber auch anders: „Ich kann sehr gut faul sein.“
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