Kurier (Samstag)

Der neue „Herr des Ringes“

Schauspiel­er Jens Harzer ist nach Bruno Ganz Träger des begehrten Iffland-Ringes

- APA/FILIPPO MONTE FORTE

Am 7. Oktober 2014, knapp drei Monate nach dem Tod des eigentlich auserkoren­en Gert Voss, schrieb Bruno Ganz einen formlosen Brief: „Es ist der Schauspiel­er JENS HARZER, den ich hiermit zu meinem Nachfolger als Träger des Iffland Ringes bestimme.“Eine Begründung blieb Ganz schuldig.

Es hätte auch keiner bedurft. Der „Nervenscha­uspieler“Harzer, 2008 und 2011 in der Kritiker-Umfrage des Fachblatts Theater heute zum Schauspiel­er des Jahres gewählt, galt – auch für den KURIER (in der Ausgabe vom 6. März) – als einer der Favoriten. Hätte man auf ihn wetten können, die Quote wäre niedrig ausgefalle­n. Und man hätte es als Zeichen werten können, dass just Harzer bei der Trauerfeie­r für Ganz am Mittwoch in Zürich das Wort ergriff: Er verlas einen Brief von Botho Strauß, der selbst nicht anwesend war. Ob er da schon wusste, als Nachfolger bestimmt worden zu sein? Immerhin waren Ganz und er, wenn schon nicht befreundet, so doch gut bekannt.

Von Woyzeck ...

Die Karriere von Harzer, am 14. März 1972 in Wiesbaden geboren, begann bereits 1993: Dieter Dorn holte den jungen Mann, der die OttoFalcke­nberg-Schule besuchte, an die Münchner Kammerspie­le – und nahm ihn später mit ans Bayerische Staatsscha­uspiel. Unter Dorns Intendanz spielte der gern fahrige Harzer den Franz Woyzeck in der Inszenieru­ng Martin Kušejs und unter der Regie von Christian Stückl in „Roberto Zucco“von Bernard-Marie Koltès.

Der Lebenslauf von Harzer ist aber auch untrennbar mit den Salzburger Festspiele­n verknüpft. Denn im Sommer 2002 hatte Stückls Neuinszeni­erung des „Jedermanns“Premiere – und Jens Harzer war drei Jahre lang mit gespenstis­chen Linsen in den Augen als Tod ein kalter, nackter Geselle.

2004 folgte bei den Festspiele­n Eugene O’Neills Psychodram­a „Eines langen Tages Reise in die Nacht“: In der Regie von Elmar Goer- den begeistert­e Harzer als schwindsüc­htiger Sohn Edmund, der in Cowboystie­feln windschief über die Bühne stapfte, eine Zigarette nach der anderen rauchend, die Hand am Whiskey-Glas. Noch eins drauf setzte er vier Jahre später, 2008 in einer von Hochmut getriebene­n, schließlic­h von Selbstzwei­feln geplagten Rolle – als Raskolniko­w in Andrea Breths äußerst genauer Dramatisie­rung des Dostojewsk­i-Romans „Verbrechen und Strafe“. Unvergesse­n sind die nervenzerf­etzenden Dialoge zwischen ihm und Udo Samel als listigem Kommissar.

2011 kehrte Harzer, mittlerwei­le Ensemblemi­tglied des Thalia Theaters in Hamburg, zurück nach Salz- burg – als Alter Ego von Peter Handke in der Uraufführu­ng von dessen Stück „Immer noch Sturm“, in dem der Autor – sehr politisch – die eigene Familienge­schichte beziehungs­weise jene der Kärntner Slowenen aufarbeite­t.

An genau diese Rolle erinnerte Burgtheate­r-Direktorin Karin Bergmann unmittelba­r nach der Bekanntgab­e des neuen Iff land-RingTräger­s durch Kulturmini­ster Gernot Blümel in einer Aussendung: „Was für ein ,Ich‘, fünf Stunden in Katrin Bracks Schnipselr­egen (...): Taumelnd, sich verlierend, wütend und ratlos – ganz eigen, ganz unverwechs­elbar, ganz Harzer, zutiefst berührend und am Ende triumphal.“

... bis zu Achill

Einen Handke verkörpert­e Harzer im Jahr darauf noch einmal – an der Seite von Dörte Lyssewski in der eher missglückt­en Uraufführu­ng des Zwei-Personenst­ücks „Die schönen Tage von Aranjuez“durch Luc Bondy im Akademieth­eater; der „Sommerdial­og“wurde Jahre später von Wim Wenders mit Sophie Semin und Harzer verfilmt.

In Salzburg folgte 2016 Shakespear­es „Der Sturm“in der Regie von Deborah Warner: Jens Harzer beeindruck­te mit gewohnt heiserer Stimme als psychotisc­her, zwischendu­rch rappender „Insulaner“Caliban.

Und schließlic­h, im Sommer 2018, kam „Penthesile­a“in einer radikalen Version heraus: Johan Simons fokussiert­e das Trauerspie­l auf den Kampf der Geschlecht­er und die beiden Protagonis­ten, die Amazonenkö­nigin und Achill, den hohnlachen­den Helden der Griechen. Harzer und Sandra Hüller lieferten sich einen variantenr­eichen Infight – und wurden für die Hauptdarst­eller-Nestroys nominiert.

Der gefragte Sprecher, der unter anderem „Ulysses“von James Joyce in einer 22stündige­n Hörspiel-Fassung aufnahm, vermag auch im Fernsehen zu beeindruck­en – etwa als hochintell­igenter Serienmörd­er in der „Tatort“Folge „Es lebe der Tod“, die 2015 in Harzers Heimatstad­t gedreht wurde: Er lieferte sich als Arthur Steinmetz ein packendes Duell mit Kommissar Felix Murot, gespielt von Ulrich Tukur. Zuletzt war Harzer in der Serie „Babylon Berlin“zu sehen.

Die Überreichu­ng des Rings an den „bedeutends­ten und würdigsten Bühnenküns­tler“soll noch vor dem Sommer in der Burg erfolgen.

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 ??  ?? Jens Harzer als Alter Ego von Peter Handke in der Uraufführu­ng von „Immer noch Sturm“im Schnipselr­egen von Katrin Brack – und zudem:
Jens Harzer als Alter Ego von Peter Handke in der Uraufführu­ng von „Immer noch Sturm“im Schnipselr­egen von Katrin Brack – und zudem:
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Als intellektu­eller Raskolniko­w in „Verbrechen und Strafe“(2008)
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 ??  ?? Brief von Bruno Ganz: „Es ist der Schauspiel­er JENS HARZER ...“
Brief von Bruno Ganz: „Es ist der Schauspiel­er JENS HARZER ...“
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Als Achill im Infight mit Sandra Hüller in „Penthesile­a“(2018)
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Als nackter „Tod“im „Jedermann“mit Peter Simonische­k
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Als Serienmörd­er Arthur Steinmetz im „Tatort“mit Ulrich Tukur (li.)

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