Das britische Ja zu Europa
Der EU-Austritt Großbritanniens wird zum quälenden politischen Desaster. Der Beitritt vor 46 Jahren war die Antwort auf eine chronische Wirtschaftskrise – und er machte der Mehrheit der Briten große Hoffnungen.
Stabiler und erfolgreicher als die Konkurrenz auf dem europäischen Festland: So hatten die Briten ihr Land lange erlebt. Nicht nur hatte man die autoritären Experimente des 20. Jahrhunderts mit all ihren katastrophalen Folgen vermieden, man war auch wirtschaftlich erfolgreicher – und hatte nicht zuletzt zwei Weltkriege gewonnen.
Britische Politiker der Nachkriegszeit blickten immer noch durch die Brille des viktorianischen Zeitalters auf Europa. Man sah sich als mächtiger, wohlhabender und nicht zuletzt demokratischer als all die anderen jenseits des Ärmelkanals.
Nach Jahrhunderten, in denen man sämtliche europäische Mächte einmal als Gegner und einmal als Verbündeter erlebt hatte, war es wohl das Beste, sie auch weiterhin gegeneinander auszuspielen. Europäisches Gleichgewicht hieß das in der Sprache der Londoner Diplomatie. So begegnete man auch den europäischen Bemühungen um Zusammenarbeit. Doch diese Zusammenarbeit funktionierte rasch besser, als man in Lon- don erwartet hatte. Großbritannien, ohnehin durch den Zerfall des Empire geschwächt, fiel wirtschaftlich immer weiter zurück. Auch der Lebensstandard auf der Insel konnte mit dem im gerade noch völlig zerstörten und geteilten Deutschland schon ab Mitte der 1950er nicht mehr mithalten. Die folgende Kurswende sollte in Großbritannien bis heute den Geschmack der Niederlage behalten. Man fügte sich ins Unvermeidliche und begann Ver- handlungen mit der damaligen EWGübereineTeilnahme. Dass die 1958 am Widerstand der Franzosen scheiterten, bestätigte die Europaskeptiker nur in ihren Vorbehalten.
Der Weg der Briten nach Europa sollte sich von da an als jahrzehntelanger Canossagang erweisen, immer begleitet von einem Chor an Kritikern, der von links und rechts lautstark gegen Europa Stimmung machte.
Für den linken Flügel der Labour-Partei war die EU ein kapitalistisches Projekt, das Arbeiterrechte untergraben würde. Eine Überzeugung, die sich bis heute in Teilen der Partei hält. Die Konservativen dagegen waren überzeugt, dass hinter diesem Europa ohnehin nur wieder deutsches Großmachtstreben stehen würde.
Der einzige Aspekt an Europa, der die Konservativen bis heute interessiert, ist der freie Zugang zu Europas Märkten. Alles andere sind bestenfalls lästige Zugeständnisse, die man, wenn sich die Gelegenheit bietet, rasch wieder rückgängig macht. Margaret Thatcher, die mit ihrer ohnehin stilprägenden Handtasche auf den Tisch haute und im Namen ihrer Landsleute „mein Geld“zurückhaben wollte, verkörperte diese Haltung perfekt. Es mussten also noch unzählige Verhandlungsrunden und Einsprüche – etwa von Frankreichs Präsident de Gaulle – vergehen, bis Großbritannien 1975 tatsächlich Mitglied der EU wurde.
Eine Volksabstimmung, bei der Industrie und Massenmedien geschlossen für den Beitritt Stimmung machten, brachte ein klares „Ja“. Die Debatte aber war damit nicht beendet, sie sollte die britische Politik eigentlich durchgehend begleiten, Großbritannien zum ständigen Querdenker und Blockierer in der EU machen.