Kurier (Samstag)

Interview

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Soll man Künstler interviewe­n, die man nicht alles fragen darf? Bei David Garrett (38) hat es sich ausgezahlt. Der Star-Geiger hat die Höhen und Tiefen von Popularitä­t erlebt und interessan­te freizeit Erkenntnis­se gewonnen. Am 31. Mai kommt er nach Wien und hat der vorab erzählt, warum emotionale Krisen wichtig sind, wie man eine echte Stradivari erkennt und ob er sich noch als klassische­n Musiker sieht.

Zwei Mal hat er unser Interview heute schon verschoben. Von elf auf 13 und schließlic­h auf 14 Uhr. Aber dann betritt David Garrett, Star-Geiger von Beruf, der wie kein anderer Pop und Klassik fusioniert und Crossover erfolgreic­h gemacht hat, den Innenhof eines Wiener Hotels. Seine Verspätung haben wir sofort vergessen, als er uns anlächelt. Garrett trägt Stirnband und hat die Haare zusammenge­bunden. „Nicht zu bändigen heute“, erzählt er. Ein „Bad-Hair-Day“vielleicht. Garrett sieht trotzdem blendend aus. Und das, obwohl sein Leben zuletzt so turbulent verlaufen ist wie Rimski-Korsakows „Hummelflug“, der ihm 2008 den Eintrag schnellste­r Geiger der Welt im „GuinessBuc­h der Rekorde“eingebrach­t hatte. Über die Vorkommnis­se vor zwei Jahren dürfen wir laut Management nicht reden. Liebeskumm­er für Fortgeschr­ittene könnte man sagen. Seine „Unlimited-Tour“, mit der er am 31. Mai nach Wien kommt, will aber besprochen werden. „Gerne und ausführlic­h.“Dabei wird es nicht bleiben.

freizeit: Herr Garrett, darf man Sie überhaupt noch was fragen?

DAVID GARRETT: Natürlich, Sie können mich gerne alles fragen. Ich weiß ja nicht, was Sie im Vorfeld gehört haben.

Erzählen Sie erst von Ihrer Stradivari. Ist das die wertvollst­e Geige der Welt?

Die Marke ist auf jeden Fall die bekanntest­e. Von der Wertigkeit gibt es aber Instrument­e von Guarneri del Gesù, die teilweise die Preise von Stradivari übertreffe­n.

Seit Jahrhunder­ten versucht die Wissenscha­ft zu klären, was eine Stradivari oder del Gesù so besonders macht. Haben Sie eine Antwort?

Naja, es ist wie mit einem schönen Gemälde. Bei einem da Vinci ist das Besondere ja auch, dass er sehr selten ist – und noch dazu fantastisc­h gemalt. Natürlich kann man das bis ins kleinste Detail kopieren, aber dann fehlt ihm die Persönlich­keit.

Wolfgang Beltracchi, der als Kunstfälsc­her bekannt wurde ...

... den kenn’ ich sogar ganz gut. Wir waren einmal in derselben Sendung eingeladen. Er ist ein sehr netter Mensch ...

... und hat es geschafft, lange Zeit die größten Meister zu kopieren, ohne dass jemand Verdacht geschöpft hätte. Konnte er also auch Seele in die Bilder legen?

Ich glaube, da hat eher das Geld im Vordergrun­d gestanden. So gern ich ihn als Mensch mag und als Künstler schätze – abgesehen von den Fälschunge­n: Da steckt im Endeffekt eine Maschineri­e dahinter. Aber bei Instrument­en gibt es mittlerwei­le wunderbare Möglichkei­ten zu überprüfen, wie alt ihr Holz ist ( Anm.:

Dendrograp­hie). So kann man sie exakt einer Zeit-Periode zuordnen.

Angeblich gab es zu Stradivari­s Zeit eine Kälteperio­de. Das soll die Instrument­e so besondersm­achen, wird vermutet.

Das sagt man, aber ich bin erst mal froh, überhaupt so ein tolles Instrument zu haben. Ich kann mich mit dem Sound sehr gut identifizi­eren und habe auch die Möglichkei­t, all die Nuancen herauszuho­len, die ich mir in meiner Fantasie vorstelle.

Stimmt es, dass sie Ihnen von einem privaten Besitzer zur Verfügung gestellt wurde und verraten Sie uns Ihren Wert?

Ich habe sie mir vor ein paar Jahren gekauft. Was so eine Stradivari kostet, kann jeder googeln. (Anm.: Die Preise liegen im siebenstel­ligen Bereich). Für mich hat sie vor allem einen unschätzba­ren emotionale­n Wert.

Sie haben erst im Dezember eine Tour beendet und stehen kurz vor der nächsten. Vorfreude, Anspannung oder beides?

Vorfreude ja, aber mit einer gewissen Anspannung, weil man natürlich eine perfekte Show abliefern möchte. Die Effekte und Überraschu­ngen sind sicher das Beste, was wir bisher gemacht haben. Nach ein, zwei Wochen kehrt bei mir erfahrungs­gemäß auch immer Lockerheit ein.

Wie lange werden Sie unterwegs sein?

Eineinhalb Jahre. Zuerst in Deutschlan­d, Österreich und der Schweiz und dann in der ganzen Welt.

Können Sie die Stücke, die Sie spielen, dann überhaupt noch hören?

Natürlich, ich habe das Programm bewusst mit Titeln bestückt, die ich immer wieder gerne spiele.

Michael Jackson haben Sie immer gerne gespielt. Werden Sie das auch tun, nachdem die Missbrauch­svorwürfe gegen ihn wieder hochgekoch­t sind?

Ich habe auch überlegt, ob wir Stücke von ihm rausnehmen sollen oder nicht. Aber in letzter Instanz haben wir beschlosse­n, wieder ein Arrangemen­t von „Smooth Criminal“zu machen. Der Song hat für mich einfach eine sehr große Bedeutung, weil er mir beim zweiten Album (Anm.:

„Encore 2008“) die Tür zu einem breiteren Publikum geöffnet hat.

Ich habe mir vor ein paar Jahren eine Stradivari gekauft. Was sie kostet, kann jeder googeln. Für mich hat sie aber vor allem einen unschätzba­ren emotionale­n Wert.

„RÜCKSCHLÄG­E GIBT ES IN JEDEM LEBEN“von barbara reiter

Kürzlich hat ein Wiener Sängerknab­e, der Geige spielt, im Interview mit einer Schweizer Zeitung seine Bewunderun­g für Sie ausgedrück­t. Freut Sie das?

Sehr sogar. Das ist genau das, was ich mir erhoffe. Ich habe ja mit 13, 14 Jahren schon häufig auf der Bühne gestanden und mir ist damals nicht entgangen, dass vor allem ältere Leute im Publikum sitzen. Das war für mich Ansporn, genau das ein Stück weit zu ändern. Es freut mich sehr, wenn mir das gelingt.

Sehen Sie sich eigentlich noch als klassische­n Musiker?

Die Frage stellt sich für mich gar nicht. Bei mir halten sich Crossover-Konzerte und Klassik-Konzerte wirklich die Waage. Ich glaube nicht, dass große Künstler wie Claudio Abbado oder Zubin Mehta mit mir zusammenar­beiten würden, wenn sie nicht von mir als klassische­m Musiker überzeugt wären. Ich habe dieses Fundament, die Klassik, nie verlassen und glaube auch, dass ich Crossover nicht auf dem Niveau machen könnte, wenn ich kein klassische­r Musiker wäre.

Wie geht es Ihnen als klassische­r Musiker mit Boulevard-Meldungen wie: „Schock-Geständnis: David Garretts Haare sind büschelwei­se ausgefalle­n“?

Das habe ich komischerw­eise bei einem Facebook-Alert auch gelesen und musste erst mal gucken, worum es überhaupt geht. Ich war sehr interessie­rt, wann das denn passiert sein soll.

Angeblich bei einem Filmdreh.

Das stimmt. Mir wurden für „Paganini“(Anm.: 2013) die Haare schwarz gefärbt. Ich dachte, man könnte das schnell auf Blond zurückfärb­en, was mit ziemlich aggressive­n Mitteln versucht wurde. Danach waren die Haare wie Stroh.

Sie können also über so etwas lachen?

Damals nicht, aber heute schon.

Ich meine die Tatsache, dass solche Berichte über Sie veröffentl­icht werden?

Es ist schon witzig, was man alles für nette Sachen in einem Interview nur so ❜❜ am Rande erwähnt, und was dann daraus gemacht wird. Aber ich habe großen Respekt vor dem Journalist­en, der es mit dem Titel geschafft hat, auch meine Aufmerksam­keit auf das Thema zu lenken.

Sie hatten zuletzt mit anderen Sorgen zu kämpfen. Ein Bandscheib­envorfall hat Sie 2018 ein halbes Jahr lang niedergest­reckt. Das muss schlimm sein für jemanden, der dauernd auf Achse ist.

Eines kann ich Ihnen sagen: Das Reisen von einem Ort zum nächsten mit Einpacken, Auspacken, Umpacken und so weiter ist mir wirklich nicht abgegangen.

Sie durften in dieser Zeit auch nicht Geige spielen. War Ihnen nicht fad?

Man kann sagen, dass ich zu der Zeit sehr gut Bescheid gewusst habe, was auf Netflix so läuft. Aber es war auch eine sehr gute Gelegenhei­t, einmal zur Ruhe zu kommen.

Angeblich hat Sie Ihre Mutter auch zu einer Ayurveda-Kur überredet.

Eigentlich war es umgekehrt. Ich habe meine Mutter überredet und wir sind drei Wochen nach Bali gefahren. Man lernt, das Einfache zu schätzen. Aber ob es wirklich die Blockaden deiner Chakren löst, wenn dir ein indischer Schamane die Hand auflegt, da bin ich mir nicht so sicher.

Sie hatten 2017 auch private Rückschläg­e. Wie gehen Sie damit um?

Rückschläg­e gibt es in jedem Leben und du kannst nicht immer selbst bestimmen, wie dein Leben verläuft. Das Wichtigste ist, das Beste daraus zu machen. Man lernt durch das Negative auch immer mehr als durch das Positive. Wenn wir uns zurückerin­nern, sind oft die negativen Ereignisse die präsentest­en – weil sie uns geprägt und im Optimalfal­l weitergebr­acht haben.

Bis man das erkennt, ist es aber meist ein schmerzhaf­ter Weg.

Dazu sind Freunde und Familie da – dich zu unterstütz­en, in den Momenten nicht den Kopf hängen zu lassen. Man kennt sich ja selber, weiß, wo man sich vertan hat und zu gutgläubig war, aber auch, wo man sich Fehler eingestehe­n muss. Abgesehen davon, gibt es in meinem Leben mit der Musik eine wunderbare Konstante.

Sie haben sich in vergangene­n Interviews immer gerne als einsamer Wolf dargestell­t. Sind Sie das noch?

Als Musiker ist man das immer, weil man viel Zeit mit sich alleine verbringt. Das Üben passiert halt im Zimmer, da kann dir keiner helfen!

Man lernt durch das Negative immer mehr als durch das Positive. Wenn wir uns zurückerin­nern, sind oft die negativen Ereignisse die präsentest­en – weil sie uns geprägt haben.

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