Kurier (Samstag)

Merkel sagt „immer noch Nein“zu EU-Job

EU-Regierungs­chefs müssen weiter nach Kandidaten für fünf Topjobs suchen

- – SANDRA LUMETSBERG­ER UND INGRID STEINER-GASHI

„Ich bin ein bisschen traurig, dass meine Worte nicht respektier­t werden, obwohl ich das so oft wiederholt habe“, beantworte­te Deutschlan­ds Kanzlerin Angela Merkel gestern die Frage, ob sie einen EU-Spitzenjob anstrebe: „Ich sage immer noch nein.“

Genauso unmissvers­tändlich, wenn auch unausgespr­ochen gab Merkel am Ende des EU-Gipfels am Freitag zu verstehen: Ihr Landsmann und EVP-Spitzenkan­didat Manfred Weber hat so gut wie keine Chancen mehr, nächster Chef der EU-Kommission zu werden. Denn die deutsche Kanzlern „möchte keine Entscheidu­ng gegen Frankreich treffen“. Und Frankreich, das hat Staatschef Emmanuel Macron stets betont, will einen Kommission­schef Weber verhindern.

Sondergipf­el

Auf einen Nachfolger für EUKommissi­onschef Jean-Claude Juncker aber konnten sich die 28 Staats- und Regierungs­chefs während ihres Gipfels auch nicht einigen. Am 30. Juni wollen sie deshalb noch einmal tagen. Und dann sollen die Kandidaten für die fünf wichtigste­n Jobs (die Chefs der Kommission, des Parlaments, des Rates, der EU-Zentralban­k sowie der EU-Außenbeauf­tragte) in der EU gefunden werden. Denn in den ersten Julitagen wird der neue Präsident des EU-Parlaments gewählt.

Eine Schlüsselr­olle kommt nun der Europäisch­en Volksparte­i (EVP) zu. Im EU-Parlament kann sie keine Mehrheit für ihren Kandidaten Weber durchsetze­n. Deshalb könnte sich der Ausweg abzeichnen, dass die EVP bei der Kür des EU-Kommission­schefs auf das System der Spitzenkan­didaten verzichtet. Im Sinne des Machterhal­tes aber müsste trotzdem ein EVP-Politiker den Top-Job erhalten. Mögliche Namen: IWF-Chefin Christine Lagarde, Irlands Premier Leo Varadkar, BrexitVerh­andler Michel Barnier.

Ein Name, der beim Gipfel hingegen nie fiel: Angela Merkel. Sie gehört nicht zu den Politikern, die Einblick in ihr Seelenlebe­n geben, umso bemerkensw­erter ihre deutlichen Worte beim Gipfel.

Datum für Abschied

Wobei sie ihr „Nein“bisher nicht groß erklärte. Was dahinter stecken könnte? Nachdem Merkel den CDU-Vorsitz abgab, kündigte sie an, bis zum Ende der Legislatur­periode 2021 Kanzlerin zu bleiben. Damit hat sie ein Datum für ihren Abschied definiert, den sie immer selbst bestimmen wollte. Würde sie jetzt abbrechen, brächte sie ihre mühsam organisier­te Regierung ins Wanken. Den Rückzug erschwert zudem das Grundgeset­z. Merkel müsste im Bundestag die Vertrauens­frage stellen und verlieren, und die Abgeordnet­en müssten mehrheitli­ch eine Nachfolger­in wählen. CDU-Chefin KrampKarre­nbauer ist umstritten.

Zudem: Im Kanzleramt in Berlin herrscht ein perfekt eingespiel­tes System mit engen Vertrauten, die ihr über Jahre halfen, sich an der Macht zu halten. So etwas lässt sich nicht einfach in Brüssel installier­en. Zudem warten dort Unannehmli­chkeiten wie der Brexit. Ob sich die 64-Jährige nach 18 Jahren an der CDUSpitze und 14 Jahren Kanzlersch­aft das antun will?

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Deutschlan­ds Kanzlerin Merkel und Frankreich­s Präsident Macron

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