Ungeliebte Nachbarn
Seit 1.000 Jahren ist die Geschichte von Österreich und Tschechien eng verknüpft. Freundschaftlich waren diese Beziehungen nur selten. Ein gemeinsames Geschichtsbuch will Brücken schlagen.
Es war ein Projekt, das viele längst in der Ablage unter „unerledigt“vermuteten. Immerhin sind fast zwei Jahrzehnte vergangen, seit die Idee, endlich eine gemeinsame Geschichte Österreichs und Tschechiens zu schreiben, ins Leben gerufen wurde. Nach Verschiebungen, Verzögerungen und endlosem politischen Hin und Her ist es jetzt erschienen: „Nachbarn, ein österreichisch-tschechisches Geschichtsbuch“. Man hat sich auf die letzten zwei Jahrhunderte konzentriert, die die schwierigen Nachbarn mit- oder doch mehr nebeneinander verbracht haben. Über große Abschnitte wird abwechselnd erzählt, was sich in einem und dann im anderen Land abgespielt hat. In den kritischsten historischen Momenten aber, wenn die Konflikte zwischen den Nachbarn eskalierten, hat man versucht, worüber sich vorher noch kein Buch getraut hat, eine gemeinsame historische Erzählung zu formulieren.
Denn was die gemeinsame Geschichte betrifft, sieht die für Österreicher und Tschechen seit jeher anders aus. Ob es um die Rolle der Tschechen in der Habsburgermonarchie geht, um Besetzung und Naziherrschaft in der Tschechoslowakei, oder um die Vertreibung von Millionen von Deutschsprachigen nach 1945. Da wurden Verbrechen totgeschwiegen, oder zumindest kleingeredet, da lenkte man das Augenmerk immeraufdie Schuld der Gegenseite. Die Politik machte mit den historischen Konflikten auch in den vergangenen Jahren politisches Kleingeld: Ob nun der tschechische Präsident Milos Zeman einst der vertriebenen deutschsprachigen Bevölkerung unterstellte, ohnehin Nazis und Verbrecher gewesen zu sein, oder ob die FPÖ das tschechische AKW Temelin zur heimtückischen Attacke gegen Österreich stilisierte.
Kommissionen und Konferenzen kamen und gingen, Ergebnisse gab es keine. Nach vierjähriger Arbeit hat es eine 21-köpfige Gruppe aus österreichischen und tschechischen Historikern jetzt geschafft. „Es war immer noch ein mühsamer Weg“, gibt der österreichische Historiker Niklas Perzi unumwunden zu. Es waren nicht nur die unterschiedlichen Blickwinkel der tschechischen und österreichischen Historiker, die zusammengefügt werden mussten, sondern auch die oft grundsätzlich andere Denk- und Arbeitsweise. So wurde nicht nur über Opferzahlen von Krieg, Terror oder Vertreibung debattiert, sondern auch über die Bewertung und Analyse von Ereignissen. Tschechische Geschichtsforschung, so Perzi, sei eben noch sehr traditionell. Die größte Aufgabe aber sei das gewesen, womit sich wohl alle wissenschaftlichen Autoren schwertun: Das Kürzen. „Nachbarn, ein österreichisch-tschechisches Geschichtsbuch“, Verlag Bibliothek der Provinz, 34 €