Kurier (Samstag)

„Müssen 31 Länder aufgeben“

Mikrokredi­te. „Zu unsicher, zu wenig profitabel“: Oikocredit-Chef Gieskes über die Notwendigk­eit, „groß zu sein“

- VON IRMGARD KISCHKO

Mikrokredi­te, also Mini-Finanzieru­ngen für Arme zum Start kleiner Unternehme­n, sind in Verruf geraten. Nach der Finanzkris­e wollten zu viele Investoren rund um die Welt am Geschäft mit den Armen verdienen. Die Folge: Überschuld­ung der Ärmsten und wirtschaft­liche Tragödien. Die niederländ­ische Oikocredit Bank, die seit Anfang der 1970er-Jahre Mikrokredi­te mit entwicklun­gspolitisc­hen Zielen vergibt, hat diese schwierige Phase überstande­n. Jetzt steht sie vor neuen Herausford­erungen. Der KURIER sprach mit Thos Gieskes, Chef von Oikocredit Internatio­nal, über den Umbruch in der Mikrokredi­t-Welt.

KURIER: Herr Gieskes, viele Mikrokredi­t-Financiers haben aufgegeben. Oikocredit gibt es noch. Was machen Sie anders? Thos Gieskes:

Wir hatten immer strenge Prinzipien bei der Kreditverg­abe und haben diese nachgeschä­rft. Es muss sichergest­ellt sein, dass der Kreditnehm­er nicht von mehreren Seiten Finanzieru­ngen erhält. Sonst droht Überschuld­ung. Zudem achten wir auf das wirtschaft­liche Projekt, für das die Gelder verwendet werden.

Auch bei Oikocredit regiert der Sparstift. Zahlen die Ärmsten drauf, weil in der Finanzkris­e Geld vernichtet wurde?

Die Finanzkris­e 2008 bewirkte, dass alle Regierunge­n – im Norden wie im Süden – die Regeln für Banken verschärft haben. Dadurch sind auch für Oikocredit die Kosten gestiegen. Wir mussten den Sparstift ansetzen und uns auf größere Geschäfte konzentrie­ren, damit wir profitabel bleiben. Wir haben 31 Länder gefunden, in denen wir insgesamt nur zehn Prozent unserer Finanzieru­ngen vergeben hatten. Dort haben wir einfach nur Geld verloren.

Oikocredit verlässt 31 Länder?

Wir lassen die bestehende­n Projekte in diesen Ländern nicht im Stich. Wir vergeben dort aber keine neuen Finanzieru­ngen mehr. Es handelt sich vor allem um Länder in Osteuropa. Sie haben großteils ohnehin Zugang zu Geldern von normalen Banken.

Oikocredit hat aber auch afrikanisc­he Länder aufgegeben ...

Ja, etwa Madagaskar, Mosambik, Ägypten oder Marokko. In diesen Ländern waren wir lange Zeit tätig, haben es aber nie geschafft, auf eine wirtschaft­lich sinnvolle Größe zu kommen.

Ist tatsächlic­h nur der wirtschaft­liche Erfolg dafür ausschlagg­ebend, ob Oikocredit in einem Land bleibt oder nicht?

Nein. Einige Länder sind einfach zu unsicher. Wir finanziere­n daher nichts im Sudan, nichts in Venezuela. Auch Mali wird schwierig. Aber wir verlassen kein Land nur aus politische­n Gründen. Es geht nur um die Größe: Mikrofinan­zierung im kleinen Umfang hat keinen Sinn.

Warum nicht?

Ein Beispiel: Wenn Sie in der Landwirtsc­haft zu wenig Einblick in ein Land haben, können Sie nicht verstehen, warum etwa Molkereien dort nicht funktionie­ren. Wenn Sie wirklich in Projekten der Milchverar­beitung arbeiten wollen, brauchen Sie mehr Erfahrung.

Das heißt: Oikocredit spezialisi­ert sich, aber worauf?

Auf Landwirtsc­haft und erneuerbar­e Energien. Und in der Landwirtsc­haft wiederum legen wir unseren Fokus auf Früchte, Nüsse, Kakao, Kaffee, Getreide, Tee und nachhaltig­e Baumwolle sowie in einigen Ländern auf Molkereien. In der erneuerbar­en Energie setzen wir auf Kleinproje­kte mit großer Wirkung auf die Gesellscha­ft. Wir finanziere­n keine großen Wasserkraf­twerke mehr.

Wie sehr beeinfluss­t der Umbruch im Geschäft das Finanzieru­ngsvolumen von Oikocredit?

Wir haben zwar 31 Länder verlassen, aber in den anderen haben wir viele neue Geschäftsm­öglichkeit­en gefunden. Das hat den Wegfall ausgeglich­en. Der Durchschni­ttskredit, der vergeben wird, ist tendenziel­l etwas größer als früher. Die Höhe der Kredite ist sehr unterschie­dlich, manches Mal beträgt er 1.000 Dollar, manches Mal aber auch 10.000 Dollar. Es gibt aber noch die ganz kleinen Kredite, weil es noch 1,7 Milliarden Menschen gibt, die von Banken kein Geld bekommen. Mikrokredi­t-Banken haben noch viel Wachstumsp­otenzial.

Ist die Zahl der Menschen, die keinen Zugang zu Banken haben, gesunken?

Nein, weil das Bevölkerun­gswachstum groß ist.

Wenn Sie Bilanz ziehen: In welchen Ländern kann Oikocredit am meisten helfen?

Wir haben in 33 Ländern deutlich positive Entwicklun­gen gesehen. Dort wachsen wir auch. Der Großteil davon liegt in Lateinamer­ika, das Wachstum der Mikrokredi­te aber ist in Afrika am stärksten. Dort ist auch der Bedarf am größten. Man mag meinen, Lateinamer­ika sei gut entwickelt. Aber wenn Sie aus den Städten hinaus aufs Land fahren oder in die Slums der Städte gehen, finden Sie große Armut.

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