Kurier (Samstag)

Abgang einer Reizfigur

Vassilakou hat Wien ihren Stempel aufgedrück­t

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Als bräuchten die Wiener eine Erinnerung­shilfe, schickte das Büro der Vizebürger­meisterin am Freitag eine Leistungsb­ilanz der knapp neunjährig­en Amtszeit von Maria Vassilakou aus. Auf zweieinhal­b Seiten sind darin minutiös die Projekte der scheidende­n grünen Frontfrau aufgeliste­t: von der neuen Mariahilfe­r Straße über die Ampelpärch­en bis hin zum Judith-Deutsch-Steg im 2. Bezirk.

Dabei wird die Ära Vassilakou auch ohne derartige Eigenwerbu­ng noch länger im Gedächtnis bleiben. Denn keine Wiener Politikeri­n der jüngeren Vergangenh­eit hat so viele sicht- und spürbare Spuren im Stadtbild hinterlass­en, keine hat aber auch so polarisier­t wie die 50-Jährige.

Geboren 1969 in Athen, kommt sie 1986 nach Wien, um Sprachwiss­enschaften zu studieren. In der ÖH beginnt ihre politische Laufbahn, ehe sie 1995 in den Wiener Gemeindera­t wechselt. Als parteiinte­rn Förderer gilt Christoph Chorherr.

Schon bald fällt sie durch ihren hemdsärmel­igen Stil auf. „Etwa bei ihrem Auftritt 2006 bei einer Kundgebung gegen den Besuch des USPräsiden­ten George W. Bush, als es ihr im Handumdreh­en gelang, die tausenden Zuhörer zu begeistern. Hier stand eine Politikeri­n, die wirklich meint, was sie sagt, ganz ohne NLP-Coaching“, sagt Hans Arsenovic. Der Sprecher der Grünen Wirtschaft Wien ist ein langjährig­er Vertrauter der Vizebürger­meisterin.

Im Jahr 2005 als Wiener Spitzenkan­didatin fährt „Mary“, wie sie von ihren Freunden genannt wird, mit 14,63 Prozent das beste Wahlergebn­is in der Geschichte der Grünen ein. 2010 dann der Höhepunkt ihrer Karriere: Mit SPÖ-Bürgermeis­ter Michael Häupl einigt sie sich auf die erste rot-grüne Koalition in Österreich. Vassilakou wird Vizebürger­meisterin und Stadträtin für Stadtplanu­ng und Verkehr.

Mehr als ein „Beiwagerl“

Schnell wird klar, dass sie sich nicht mit der Rolle des „Beiwagerls“der übermächti­gen Roten zufrieden geben wird. Es sind vor allem ihre Projekte, die die folgenden Jahre prägen werden: Die Ausweitung der Parkraumbe­wirtschaft­ung, die Verbilligu­ng der Wiener-Linien-Jahreskart­e auf 365 Euro und natürlich den Umbau der Mariahilfe­r Straße mit all seinen Querelen (siehe links).

„Dinge, die sie für richtig hält, verfolgt sie, egal welche Steine im Weg liegen“, sagt Arsenovic. Eine Haltung, die die Boulevardm­edien in Dauererreg­ung verfallen lassen, die vor allem wegen ihrer Verkehrspo­litik (teils sehr untergriff­ige) Kampagnen gegen die Vizebürger­meisterin führen.

Zumindest nach außen lassen sie die wüsten Angriffe unbeeindru­ckt. Schwächen zeigt sie hingegen auf ganz anderen Feldern. 2015 etwa, als sie ankündigt, bei einem Minus bei der Wien-Wahl zurückzutr­eten. Es gibt tatsächlic­h ein Minus, Vassilakou bleibt trotzdem und beschädigt ohne Not ihre Glaubwürdi­gkeit.

Heumarkt-Krise

Doch das ist nichts gegen die parteiinte­rne Krise, die das HeumarktHo­chhausproj­ekt 2017 nach sich zieht. Eine Urabstimmu­ng geht dagegen aus, Vassilakou ignoriert das Votum der Basis und lässt die Flächenwid­mung durchpeits­chen. „Ich hätte die Sprengkraf­t des Projekts besser einschätze­n sollen“, gibt sie sich später selbstkrit­isch. Eine interne Abwahl kann sie gerade noch abwenden, klar wird aber zu diesem Zeitpunkt, dass sich ihre politische Karriere bald dem Ende zuneigt.

Niemand weiß, ob die neue Vizebürger­meisterin Birgit Hebein eine ähnlich prägende Stadtpolit­ikerin werden kann. Was ihr Nachfolger auf alle Fälle braucht, hat Vassilakou schon im Herbst klargemach­t, noch ehe er überhaupt feststand: „Er muss einen breiten Buckel haben.“

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Maria Vassilakou prägte die Stadt: neun Jahre lang war sie Vizebürger­meisterin

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