Je voller ein verlorenes Börserl, desto eher wird es zurückgegeben
Ein globales Experiment zeigt, wie aufrichtig sich Menschen im Alltag verhalten – und wovon ihr Anstand abhängt
Geldtasche verloren? Mit viel Barem drin? Dann haben Forscher gute Nachrichten: Je mehr Geld im verschollenen Börserl steckt, desto größer die Wahrscheinlichkeit, dieses von einem ehrlichen Finder wieder zu bekommen.
Herausgefunden haben das Wissenschafter rund um den Schweizer Ökonomen Michel Maréchal von der Universität Zürich. Maréchal ist der Ideengeber hinter einem Experiment, das zwei Fragen klären soll: Wie aufrichtig sind Menschen im Alltag? Und: Sind sie durch finanzielle Verlockungen verführbar?
Antworten auf diese Fragen gibt es bereits: Vor sechs Jahren führte Maréchal Versuche in Finnland durch. Schon damals zeigte sich: Die Geldtaschen wurden häufiger zurückgegeben, wenn sie Geld enthielten. Weil die Ergebnisse überraschend (laut ökonomischer Theorie sollte es umgekehrt sein) und die Stichprobe klein war, beschloss der Forscher, das Experiment zu wiederholen.
Die Probe aufs Exempel erfolgte im großen Rahmen: 17.000 verlorene Brieftaschen wurden als Köder in 355 Städten in 40 Ländern ausgelegt. Unter anderem in Deutschland, Frankreich, den USA, Ghana und Mexiko. Das ursprüngliche Experiment hatte in einem Museum stattgefunden. Um die Aussagekraft des Versuchs zu erhöhen, wurden die Orte nun variiert. Man legte die Börserl (teils mit Schlüsseln und verschiedenen Geldbeträgen) in Poststellen, Hotels, Kinos, Banken und auf Ämtern aus.
Jeder Zweite ist ehrlich
Insgesamt fanden über 8.000 Geldbeutel zu ihren Besitzern zurück. Das Ergebnis, publiziert im Fachblatt Science, bestätigt die finnische Vorgängerstudie. War kein Geld in der Tasche, informierten 40 Prozent den Besitzer. Mit Geld waren es 51 Prozent. Portemonnaies mit Schlüssel wurden unabhängig vom Geldbetrag öfter zurückgegeben.
„Die Studie zeigt, dass wir ein zu negatives Menschenbild haben“, sagt Mitautor Christian Lukas Zünd von der Universität Zürich. Die Menschen seien ehrlicher als gedacht. Dass große Geldbeträge häufiger retourniert werden, hängt den Forschern zufolge damit zusammen, dass der Finder sich als Dieb fühlen würde, wenn er das Portemonnaie behielte. Ein unangenehmes Selbstbild.
Das Rückgabemuster fanden die Forscher weltweit, quer durch alle Generationen und sozialen Schichten. Die Quoten waren unterschiedlich: Bei Geldbörsen ohne Geld waren die Schweizer am ehrlichsten, bei größeren Beträgen Dänen, Schweden und Neuseeländer.