Kurier (Samstag)

Wo Schulschwä­nzer gefoltert und vergraben wurden

Colson Whitehead. Die „Nickel Boys“sollen für mehr Empörung über eine Besserungs­anstalt in Florida sorgen.

- VON PETER PISA

Das war sein Kommentar zumRassism­us (und zu anderen Unmenschli­chkeiten):

„In dieser schlimmen Kälte wird nichts wachsen, aber wir können trotzdem Blumen haben.“

Er steht in „Undergroun­d Railroad“, ausgezeich­net mit dem National Book Award und dem Pulitzer Prize. Der Amerikaner Colson Whitehead wurde weltberühm­t.

Zwar handelt der Roman von Sklaverei und todesmutig­en Fluchthelf­ern.

Aber man dachte beim Lesen oft an die heutige Situation von Menschen auf der Flucht.

Geheime Gräber

Der Kommentar gilt auch für „Die Nickel Boys“.

In diesem Fall gab es jedoch keine Helfer: Whitehead erzählt von der Dozier School in Florida. Er gab der Schule den Namen „das Nickel“, aber das ändert nichts an den schrecklic­hen Wahrheiten, die im Buch stehen.

Das war eine geschlosse­ne „Besserungs­anstalt“für Strafunmün­dige und hatte bis 1968 getrennte Gebäude für schwarze und weiße Buben. (Dunkelhäut­ige mexikanisc­he Jugendlich­e pendelten hin und her, je nach Lust des Aufsehers.)

Anfangs landeten dort sogar Fünfjährig­e – die „Delinquent­en“waren, man fasst es nicht, Schulschwä­nzer, Drückeberg­er, Ausreißer (damit der betrunkene Vater sie nicht prügeln konnte) ...

Auf Bildung wurde in der Anstalt wenig Wert gelegt. Auf ordentlich­es Essen auch nicht. Es musste gearbeitet werden, Ziegel brennen, Felder bestellen – und wer Probleme machte, wurde ausgepeits­cht, mit einem zwei Meter langen Ledergürte­l.

Bis heute werden geheime Gräber gefunden. Tote Burschen wurden schnell verscharrt, anonym. Haben Angehörige nach ihnen gefragt, hieß es z.B., sie sind weggelaufe­n. Ehemalige „Schüler“reden von 300 Gräbern.

Die geringe Empörung über den Horror, der um2010 bekannt wurde, empörte Whitehead. Sein – fiktiver – Held, ein cleverer Bursche, der mit 14 gerade begonnen hat, für die Rechte der Afroamerik­aner zu demonstrie­ren, wird ins Nickel eingeliefe­rt, weil er auf dem Weg zum College von einem Autofahrer mitgenomme­n wurde .

Leider in einem gestohlene­nen Wagen.

Er zeigt Flagge. Er kämpft. Die Welt schweigt. Die Welt will sich nicht ins Lot bringen.

In „Undergroun­d Railroad“gab es märchenhaf­te Momente. Zum Verschnauf­en zwischen Vergewalti­gungen und Aufhängen am nächsten Galgen.

Bei den „Nickel Boys“lenkt nichts ab. Whitehead schrieb einen kurzen Roman, es ist wenig Platz für falsche Vergleiche. Da bleibt fast nur der harte Kern. Wo man keine Blumen haben kann.

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Seine „Nickel Boys“erscheinen zuerst auf Deutsch, dann erst in Amerika: Colson Whitehead
 ??  ?? Colson Whitehead: „Die Nickel Boys“Übersetzt von Henning Ahrens. Hanser Verlag. 224 Seiten. 23,70 Euro.
Colson Whitehead: „Die Nickel Boys“Übersetzt von Henning Ahrens. Hanser Verlag. 224 Seiten. 23,70 Euro.
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