Das alte und das neue Gesicht der Oper
„Otello“: Neu und schon aus der Zeit gefallen KURIER-Kritik
Analyse. Ein neuer „Otello“in Wien, ein neuer „Don Giovanni“in Paris – warum diese beiden Produktionen symbolisch für einen Richtungsstreit stehen.
In welche Richtung entwickelt sich das Musiktheater? (Sofern es sich mancherorts überhaupt entwickelt, um irgendwann wieder neues Publikum anzusprechen). Ist Auslastung wirklich das zentrale Kriterium? Eher ja, wenn man die Designierung von Dominique Meyer zum Intendanten der Mailänder Scala heranzieht (wobei knapp 100 Prozent Sitzplatzauslastung niemals eine auch nur annähernd so hohe Finanzauslastung ergeben). Ist die Oper von heute das MHM, das Musikhistorische Museum, von morgen? Oder gibt es nicht doch Zugänge, die das Genre zu erneuern zumindest versuchen?
Vergessen Sie den Streit zwischen Links und Rechts in der Politik – die Fronten im Bereich Musiktheater sind mindestens so verhärtet, Hasspostings inklusive. Dabei bräuchte es dringend Reformen. Wie die aussehen können, zeigt eine Produktion von Mozarts „Don Giovanni“in Paris mit dem künftigen Musikdirektor der Staatsoper. Das alte Gesicht der Oper: Verdis „Otello“in Wien.
Wien. In vielen Bereichen, nicht zuletzt in der Kunst, stellt sich zunächst einmal die Frage nach dem Warum. Womit wir bei der Neuproduktion von Verdis „Otello“in der Staatsoper wären.
Warum setzt man eine Premiere an, wenn man keinen aktuell gewichtigen Dirigenten dafür hat? Myung-Whun Chung hat „Otello“zwar einmal gut und mit Domingo, festgehalten auf Tonträger (1993), dirigiert – ist jedoch diesfalls ein reiner Abwickler, ein Hausmeister für den Eintritt in die geniale Partitur (sämtliche echte Conciergen in Ehren!), kein Gestalter, kein sensibler Differenzierer. Am markantesten ist sein Dirigat dann, wenn er es krachen lässt und die Protagonisten damit vor Probleme stellt. Dabei hätte er das beste Orchester für dieses Werk zu Verfügung. Aber einen Ferrari muss man erst einmal steuern können.
Ach, das Schweizerhaus
Warum investiert man so viel Geld und Energie in eine Neuproduktion, wenn einem nicht die zur Zeit besten Sänger zur Verfügung stehen? Aleksandrs Antonenko ist ein Tenor mit so viel Metall, dass er von der Voest gesponsert werden sollte, man hört ihm den Zeitraum seiner Karriere jedoch an. Von schöner Phrasierung, Präzision oder Gestaltung ist wenig zu hören (auch nicht zu sehen). Dass Jonas Kaufmann am selben Abend ein Foto aus dem Schweizerhaus mit Krügerl postete, macht doppelt traurig. Olga Bezsmertna ist eine famose Repertoiresängerin, für zahlreiche kleinere Rollen gut qualifiziert, aber keine Premieren-Desdemona für Wien. Vladislav Sulimsky, dem Bariton mit dem schönsten Timbre des Abends, tut man mit der Rolle des Jago nichts gutes. Sein „Credo“ist kaum hörbar, Dämonie in der Stimme nicht vorhanden. Jinxu Xiahou (Cassio), Jongmin Park (Lodovico), Margarita Gritskova (Emilia) sind gut besetzt – aber rechtfertig das eine Premiere?
Warum – und nun sind bei wir einem zentralen Punkt, ohne höchste musikalische Qualität als Grundvoraussetzung in Frage zu stellen – lässt man „Otello“neu inszenieren, wenn man offenbar nicht gewillt ist, auch nur Irgendetwas (gar nicht einmal zwingend irgendetwas Neues) dazu zu sagen?
Jö, diese Überraschung
Adrian Noble ist der Regisseur des Abends, der das Werk szenisch arrangiert – hey, ihr vom Chor, stellt euch mal dort 15 Minuten lang auf und singt, ohne euch zu bewegen, sieht bestimmt fesch aus – und nicht einmal im Ansatz interpretiert. Im Vorfeld hieß es, diesmal ginge es besonders um Liebe und Eifersucht. Wirklich? Bei „Otello“? So eine Überraschung.
Zu sehen ist wenig Personenführung mit einem grobschlachtigen Otello, einer unterbelichteten Desdemona, einem ganz lieben Jago. Man glaubt (darstellerisch) keinem auch nur ein Wort.
Das Bühnenbild suggeriert Zeitlosigkeit, die Kostüme sollen an die ersten beiden Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts erinnern (auch da die Frage: warum eigentlich?). Wir könnten uns aber optisch auch zur Zeit der Uraufführung (1887) befinden. Oder in den 1980er Jahren in Wien, jedenfalls eine ziemlich angestaubte Sache.
Antworten auf die Warum-Frage geben das Meisterwerk von Verdi selbst, das zu hören immer wieder elektrisierend ist. Sowie das Orchester, das diesfalls gleich danach sein Sommernachtskonzert zu bestreiten hatte.
Verdis „Otello“an der Staatsoper hat stattgefunden. Hat er das?