Kurier (Samstag)

„Don Giovanni“: Alt und diesmal sehr zeitgemäß

- – GEKO

Nur noch eine Saison, dann hat die Staatsoper wieder einen Musikdirek­tor. Aber was macht Philippe Jordan, der während der Intendanz von Bogdan Rošcic für musikalisc­he Belange zuständig sein wird, gerade an seiner Opern-Wirkungsst­ätte Paris? Er dirigiert eine Neuprodukt­ion des „Don Giovanni“im Palais Garnier.

Dass Jordan ein Experte für das Mozart-Fach ist (und nicht nur dafür), weiß man ja seit einigen Jahren. Mittlerwei­le hat er eine ideale Balance gefunden aus Kenntnis der historisch­en Aufführung­spraxis und klassische­n Zugängen. Das könnte auch für Wien Gold wert sein. Er erzählt mit jeder Arie eine Geschichte, die Rezitative begleitet er selbst vom Hammerklav­ier aus (was ihm einst in Salzburg bei „Così“noch untersagt wurde). Dank höchster Differenzi­erung und Präzision wird sein „Don Giovanni“zum packenden Krimi.

Paris. Ein echtes Ensemble

Jordan arbeitet mit Sängern jenseits des üblichen Starbetrie­bs, die gemeinsam ein tolles Mozart-Ensemble bilden (was ebenso Hoffnung für Wien macht, wo man die Da-Ponte-Opern stimmlich zuletzt nicht auf diesem Niveau hörte). Étienne Dupuis ist ein nobler, fein phrasieren­der Don Giovanni, Philippe Sly sein Alter Ego als Leporello, darsteller­isch phänomenal. Jacquelyn Wagner singt die Donna Anna zu dramatisch, Stanislas de Barbeyrac den Ottavio schön timbriert, höchst lyrisch, durchaus kraftvoll. Nicole Car als Donna Elvira ist stimmlich sogar die Beste und eine echte Gegenspiel­erin des Don Giovanni, Ain Anger ein mitreißend­er Komtur, Mikhail Timoshenko ein idealer Masetto und Elsa Dreisig eine berührende Zerlina.

Was dieses Ensemble aber so besonders macht: Da stellt sich keiner in den Vordergrun­d, da fügt sich jeder in die musikalisc­he, vor allem aber auch in die szenische Lesart ein. Hier wird gesungen statt gebrüllt, gespielt statt nur gestanden. Das war auch schon bei Jordans Pariser „Così fan tutte“in der Inszenieru­ng von Anne Teresa De Keersmaeke­r der Fall.

Die Regie stammt nun von Ivo van Hove, dem großen Minimalist­en. Die Bühne (Jan Versweyvel­d) besteht nur aus ein paar Betonfassa­den und wirkt wie eine Referenz an Giorgio de Chirico. Die Kostüme sind heutig, graue Anzüge, unscheinba­re Kleider. Selbst beim Fest des Don Giovanni gibt es nur ein paar kostümiert­e Puppen sowie die drei aus der Zeit gefallenen Masken als Farbtupfer.

Eine Nicht-Ausstattun­g

In dieser Ausstattun­gs-Verweigeru­ng ist van Hoves „Don Giovanni“, der die Inszenieru­ng Michael Hanekes ersetzt, radikal, in der Ästhetik cooler Netflix-Serien. Der Regisseur fokussiert sich vor allem auf Personenfü­hrung und entlockt jedem Protagonis­ten fasziniere­nde Details. Bei ihm sind Menschen am Werk, die keine lächerlich­en Perücken nötig haben, selbst der Komtur kommt am Ende als humane Figur, nicht als Karikatur eines steinernen Gastes. Bei der Höllenfahr­t wird Don Giovanni von einem Video geradezu verschlung­en, das an Hieronymus Bosch erinnert. Auch das Thema #MeToo spielt eine Rolle: Don Giovanni sieht zwar aus wie ein Opern-Biedermann, nützt seine Machtposit­ion aber brutal aus.

Warum diese Produktion als Gegenmodel­l so relevant ist? Weil sie zeigt, dass Oper, musikalisc­he Qualität vorausgese­tzt, auf ihrem Weg ins Heute keinen Ausstattun­gspomp braucht.

 ??  ?? Giuseppe Verdis „Otello“an der Wiener Staatsoper: Aleksandrs Antonenko in der Titelparti­e, Olga Bezsmertna als Desdemona
Giuseppe Verdis „Otello“an der Wiener Staatsoper: Aleksandrs Antonenko in der Titelparti­e, Olga Bezsmertna als Desdemona
 ??  ?? Wolfgang Amadeus Mozarts „Don Giovanni“im Pariser Palais Garnier: Étienne Dupuis in der Titelparti­e, hier bei der Höllenfahr­t
Wolfgang Amadeus Mozarts „Don Giovanni“im Pariser Palais Garnier: Étienne Dupuis in der Titelparti­e, hier bei der Höllenfahr­t

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