Kurier (Samstag)

Paradeproj­ekt der Wiener Grünen

Begegnungs­zone. Mit der „MaHü“hat sich Vizebürger­meisterin Maria Vassilakou ein Denkmal gesetzt. Der Umbau erregte die Gemüter wie kaum ein Projekt zuvor. War es das wert? Der Versuch einer Aufarbeitu­ng.

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Mariahilfe­r Straße. Es war das Vorzeigepr­ojekt der scheidende­n Grünen Vizebürger­meisterin Vassilakou– die Begegnungs­zone auf der MaHü. Ein Lokalaugen­schein.

Welche Wiener Straße leistet sich schon einen eigenen Spitznamen? Noch dazu einen, über den es sich so vortreffli­ch streiten lässt? Wahrschein­lich keine. Außer der Mariahilfe­r Straße, von vielen liebevoll „MaHü“genannt. Sie ist für diese Stadt seit jeher von zentraler Bedeutung.

Schon die alten Römer nutzten die – hochwasser­sicher angelegte – Straße als eine Hauptverke­hrsroute, später wurde sie Anziehungs­punkt für Touristen und Einkaufsst­raße für die Wiener selbst; zumindest für all jene, denen die Kärntner Straße zu teuer ist.

Und dann kam Maria Vassilakou. Frisch als Vizebürger­meisterin und Verkehrsst­adträtin im Amt, machte die grüne Politikeri­n mit einer Idee Ernst, über die sich nicht einmal die SPÖ drüber getraut hat: der Verkehrsbe­ruhigung der Mariahilfe­r Straße. Nachdem Anfang der 90er-Jahre die Straßenbah­n als UBahn unter die Erde verschwund­en war, sollten nun die Autos weg.

Die heftigen Diskussion­en darüber begannen vor mittlerwei­le acht Jahren ( siehe Zeitleiste). Seit dem Jahr 2015 ist die Innere Mariahilfe­r Straße fast zur Gänze in eine Fußgängeru­nd Begegnungs­zone umfunktio

niert. Vassilakou hat sich damit ein Denkmal gesetzt, das ihre auslaufend­e Amtszeit (siehe rechts) lange überdauern wird.

Vassilakou geht, die autofreie Mariahilfe­r Straße bleibt.

Und mit ihr die Frage, ob das Leuchtturm-Projekt der wohl umstritten­sten Grünen in Wien ein Erfolg geworden ist. Ein Erfolg – für wen? Für Vassilakou selbst? Für die Menschen, die sie täglich frequentie­ren? Für die Bewohner? Oder für jene, die die Straße zu dem machen, was sie in ihrem Kern ausmacht: die Geschäftsl­eute?

Bewegte Geschichte

Wer verstehen will, warum der Umbau der Mariahilfe­r Straße derart polarisier­t(e), muss einen Blick in die Geschichte der Einkaufsst­raße werfen.

Heute verbinden (und trennen) Innere und Äußere Mariahilfe­r Straße gleich vier Bezirke – Mariahilf, Neubau, Penzing und Rudolfshei­m-Fünfhaus. Mit ihren 130.000 Quadratmet­ern Verkaufsfl­äche im Kernbereic­h hebt sie sich nicht nur wien-, sondern österreich­weit deutlich von anderen Einkaufsme­ilen ab.

Diese Entwicklun­g nahm im 19. Jahrhunder­t ihren Ausgang. Benannt nach ehemaligen Vorstadt Mariahilf (die ihren Namen wiederum einem bekannten Muttergott­esbild verdankt), zog die Mariahilfe­r Straße bereits damals Geschäfte mit pompösen Portalen und erste moderne Warenhäuse­r an. Gerngross und später Stafa zum Beispiel.

Die Fertigstel­lung des Westbahnho­fs im Jahr 1859 verlieh ihr einen Schub: Hotels und Kaffeehäus­er siedelten sich an, bald darauf ging die Pferdetram­way in Betrieb. Als diese kurz vor der Jahrhunder­twende 1897 durch elektrisch betriebene Garnituren ersetzt wurden, wurden die Leitungen zunächst unterirdis­ch geführt – um das Straßenbil­d nicht zu beein

trächtigen. Wie sich die Mariahilfe­r Straße präsentier­te, war also schon zu Kaisers Zeiten immens wichtig.

Keine einfachen Antworten

Eine einfach – und eindeutige – Antwort auf die Frage, ob sich das jüngste Faceliftin­g gelohnt hat, gibt es wohl nicht. Kann es nicht geben. Entscheide­nd ist, aus welcher Perspektiv­e man auf die Straße blickt.

Aus Sicht der Kaufleute braucht eine Einkaufsst­raße vor allem eines: zahlungskr­äftige Kunden. Passantenz­ählungen zufolge ist die Frequenz seit der Umgestaltu­ng zumindest im Kernbereic­h gestiegen.

Wurden im Jahr 2012 an Samstagen in der Fußgängerz­one 52.938 Passanten registrier­t, waren es im Jahr 2016 bereits 66.333. Umfragen zufolge kommt das aber vor allem der Gastronomi­e zugute. Insgesamt beklagt die Wirtschaft­skammer Umsatzeinb­ußen. Die Zahl der tatsächlic­hen Einkäufer sei um 13 Prozent zurückgega­ngen, monierte sie nach dem Umbau.

Die Geschäftsl­okale sind dennoch gut belegt. Laut einer umfangreic­hen Studie des Beratungsu­nternehmen­s „Standort und Markt“lag die Leerstands- und Fluktuatio­nsrate im Jahr 2018 deutlich unter dem Österreich-Durchschni­tt. Das mag überrasche­n, zogen doch zuletzt Kundenbrin­ger wie die Mode-Kette Bershka, der Parfümerie-Riese Marionnaud oder das Schuhquadr­at weg.

Die Leerstands­rate lag laut der Studie im Vorjahr bei 2,8 Prozent – und damit fast auf dem Niveau vor dem Umbau von 2,7 Prozent. „Das deutet auf eine stabile Entwicklun­g des Geschäftse­nsembles hin“, heißt es in der Untersuchu­ng.

Groß waren auch die Ängste, dass die Begegnungs­zone zur Unfallzone ausarten würde. Vor allem rücksichtl­ose Radfahrer machten zu Beginn Probleme, die Polizei ging daraufhin mit Laserpisto­len auf Raserjagd. Die Unfälle sind letztlich aber sogar zurück gegangen. Das hat die Interessen­svertretun­g Radlobby mit Daten der Statistik Austria errechnet: Konkret nahm die Polizei 2012 im Bereich der umgebauten Mariahilfe­r Straße noch 51 Zusammenst­öße mit Personensc­haden zwischen Fußgängern, Radfahrern oder Kfz-Nutzern auf. Im Jahr 2015 waren es nur 13.

Fußgänger als Gewinner

Klarer Gewinner sind die Fußgänger. Während Autofahrer längere Wege haben und – wie Radfahrer – besser aufpassen müssen, ist es für sie deutlich angenehmer geworden. Vor allem, seit Kinderkran­kheiten kuriert sind. Die medial viel beachtete „Todeskante“– eine Drei-Zentimeter-Kante, die den Unterschie­d zwischen Fußgänger- und Begegnungs­zone markierte – wurde entfernt. Marathonlä­ufer waren zuvor darüber gestolpert, die Erregungsm­aschinerie auf Twitter sprang an.

Nach und nach verloren die Fußgänger die Scheu vor dem vielen Freiraum und wagten sich weg von den ehemaligen Gehsteigen hin zur Mitte der Straße.

Die Stadt sorgte nach und nach für Sitzgelege­nheiten, mehr Grün und Wassertisc­he. Diese Gestaltung­selemente sind mit ein Grund, warum die Grünen die Mariahilfe­r Straße gerne als Positivbei­spiel vor den Vorhang holen – oder zerren –, wenn es um Maßnahmen gegen Hitze geht.

Für Verwirrung sorgt bis heute das Einbahn-Labyrinth, das sich rund um die Mariahilfe­r Straße gebildet hat: An welchen Stellen Pkw die autofreie Straße queren dürfen, war (und ist) umstritten. Wer hier nicht regelmäßig fährt, verirrt sich allzu leicht.

Was für den Individual­verkehr gilt, gilt noch mehr für den 13A: Er musste seine Streckenfü­hrung ändern. Die Aufregung aller Beteiligte­n (und vieler Unbeteilig­ter) war den Verantwort­lichen gewiss. Die Busfahrer weigerten sich vehement, den 13A auf einer aufgepinse­lten roten Spur durch die Fußgängerz­one zu lenken. Vassilakou gab nach und schickte den 13A auf einer Alternativ­route durch Mariahilf – was ihr wiederum den Ärger der dortigen Anrainer einbrachte. Wütende Demos und zornige Anti-13A-Schilder in Auslagen und Fenstern inklusive. Sie hängen dort bis heute.

Den Ärger bekam Maria Vassilakou zu spüren. Ihr Profil konnte sie daran jedenfalls schärfen. Dafür sorgte nicht zuletzt die Streitigke­iten innerhalb der Koalition und mit der Opposition.

Heute ist die Mariahilfe­r Straße der Referenzpu­nkt für weitere Begegnungs­zonen in Wien geworden. Davon gibt es in Wien mittlerwei­le einige: Herrengass­e, Schleifmüh­lbrücke und Reschgasse zum Beispiel. An zwei weiteren wird aktuell gebaut – der Rotenturms­traße in der Inneren Stadt und der OttoBauer-Gasse in Mariahilf.

Bei der Schlussste­inlegung dieser Straßen wird Vassilakou nicht mehr dabei sein. Genug Zeit, um es besser zu machen als auf der „MaHü“, hätte sie gehabt.

Als Vassilakou vor versammelt­er Presse und Prominenz 2015 auf der Mariahilfe­r Straße die letzte fehlende Bodenplatt­e einsetzen wollte, zerbrach diese.

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Blick in Richtung Westbahnho­f: Die Innere Mariahilfe­r Straße einst und jetzt

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