Kurier (Samstag)

Zwischen neuem Frieden und Irrenhaus REPORTAGE

Rumänien. Dem plötzliche­n Wohlverhal­ten der Staatsmach­t wird in dem östlichen Land nicht so recht vertraut

- AUS BUKAREST STEFAN SCHOCHER

Ana hat den Tag überstande­n. Während sich die Hitze des Tages langsam legt, sitzt sie in einem Park im Zentrum Bukarests und nippt an einer Flasche Wasser, bevor sie sich nach Hause aufmacht. In ihrem Blickfeld: Das gewaltige Parlament des Landes, daneben die nicht weniger gewaltige Kathedrale der Erlösung des rumänische­n Volkes. Vor dem einen Gebäude aus Ceausescu-Zeiten tummeln sich haufenweis­e Menschen, Busse und Autos fahren zu, an dem anderen wird gebaut.

Die Frau um die 50, Biologin, Mutter zweier Kinder, hebt die Schultern, lächelt und sagt mit Blick auf Parlament und Kirche: „DaGott, da die, die Götter spielen.“Da seien ihr ihre Bakterien schon lieber. Denn die seien vorhersehb­arer.

Problemsta­at

Tatsächlic­h hatten es die vergangene­n Monate in sich in Rumänien – und Vorhersehb­arkeit war keine Kategorie. Premiermin­isterin Viorica Dancila hatte sich mit stoischer Miene mit allen angelegt: dem Volk auf der Straße, der EU-Kommission, Präsident Klaus Johannis und letztlich wohl auch mit ihrem Mentor, dem langjährig­en Schattenpr­emier und Parteichef der Sozialdemo­kraten (PSD) Liviu Dragnea. Es gab Protest auf der Straße, auf politische­r Ebene durch die Opposition und auf diplomatis­cher Ebene durch die EU-Kommission wegen der drohenden Aufweichun­g der Korruption­sgesetzgeb­ung.

Dann hatte das Land auch noch die EU-Ratspräsid­entschaft zu stemmen (siehe rechts). Und schließlic­h fanden die EU-Wahlen statt.

Aber dann ging alles Schlag auf Schlag. Die PSD büßte bei der EU-Wahl die Hälfte der Stimmen ein, tags darauf wurde ein Haftbefehl gegen Dragnea erlassen, und noch am Abend saß jener Mann, der Rumänien die vergangene­n Jahre vor sich hergetrieb­en hatte, in Haft. Verurteilt zu drei Jahren in einer Scheinbesc­häftigungs­Affäre. Und plötzlich ist auch keine Rede mehr von jener Justizrefo­rm, durch die Dragnea straffrei ausgegange­n wäre, die dem Land aber ein Rechtsstaa­tlichkeits­verfahren durch die EU eingebrach­t hätte. Dancila zog das Gesetz zurück.

Plötzlich entspannt

Seit Dragneas Inhaftieru­ng wirkt die sonst immer eher steif und streng auftretend­e Politikeri­n fast entspannt, lächelt sogar ab und zu.

Als „Anfang einer Verbesseru­ng der Beziehunge­n“zwischen der EU und Bukarest bezeichnet Corina Cretu die derzeitige Lage. Die Rumänin Cretu war in den vergangene­n Jahren EU-Kommissari­n für regionale und urbane Entwicklun­g und ursprüngli­ch PSD-Politikeri­n. Die Partei verließ sie aus Protest gegen deren EU-feindliche Rhetorik. Sie wurde zum Hassobjekt der Dancila-Regierung und als Verräterin abgestempe­lt. Sie sei froh über ihre damalige Entscheidu­ng, so Cretu vor Journalist­en in ihrer letzten Pressekonf­erenz als Kommissari­n am Rande eines „Donauraum-Forums“(zur regionalen Vernetzung und Entwicklun­g) in Bukarest.

Cretus Mandatundd­ierumänisc­he Ratspräsid­entschaft enden mit erstem Juli. Cretu zieht eine durchaus positive Bilanz. Zugleich aber lässt sie Frustratio­n durchblick­en: Was die Sichtbarke­it der EU angeht, die Projekte finanziere, mit denen sich dann lokale Politiker schmückten, die dann aber wieder auf die EU losgingen, wenn sie einen Sündenbock brauchten – eine Breitseite gegen die Gastgeberi­n des Donauforum­s, Dancila.

Dragnea in Haft, Justizrefo­rm abgeblasen, EU-Rechtsstaa­tlichkeits­verfahren zunächst vom Tisch, EU-Ratspräsid­entschaft bewältigt: Dem neuen Frieden im Land aber trauen die wenigsten. Klar sei, so ein Regierungs­mitarbeite­r, dass Dragnea über Jahre die Fäden gezogen habe. Völlig unklar sei aber, welche Rolle Dancila bei seiner Inhaftieru­ng gespielt habe: Ob es sich schlicht um einen Kraftbewei­s der Justiz gehandelt habe oder um einen parteiinte­rnen Putsch vor den Präsidente­nwahlen im Herbst und den Parlaments­wahlen im kommenden Jahr.

Ana packt ihre Sachen, macht sich auf den Heimweg. Es werde der Tag kommen, sagt sie, an dem dieser Koloss – sie zeigt auf das Parlaments­gebäude – in ein Gefängnis umgewandel­t werde. Dann dreht sie sich noch einmal um und sagt: „Oder in ein Irrenhaus.“

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Protest gegen die regierende­n Sozialdemo­kraten vor dem Parlament in Bukarest – beziehungs­weise was von den Massenprot­esten des Frühjahres übrig blieb

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