Kurier (Samstag)

Rechtsterr­orismus-Alarm nach Mord

Deutschlan­d. Reichsbürg­er, Identitäre und Neo-Nazis sind gut vernetzt und haben auch Freunde bei der Polizei

- VON SUSANNE BOBEK

Der 45-jährige Stephan E. aus Kassel, der den CDU-Politiker Walter Lübcke ermordete, war „ein braver Familienva­ter“, berichten seine Nachbarn. Keiner ahnte etwas von seiner mehr als 20-jährigen Vergangenh­eit in der Neonazisze­ne, keiner wusste, dass er eine Rohrbombe an einem Asylbewerb­erheim zünden wollte und im Gefängnis einen Migranten mit einer Stange blutig geprügelt hatte.

Stephan E. arbeitete im Schichtdie­nst bei einem Bahnzulief­erer. Auf diesem Gelände hatte er sein Waffenvers­teck. In den rechtsextr­emistische­n Internetfo­ren verbreitet­e er Drohungen. Auch gegen Walter Lübcke, der als Regierungs­präsident von Kassel Flüchtling­sunterkünf­te organisier­en musste. Ein Satz bei einer Bürgervers­ammlung, bei der Stephan E. dazwischen gebrüllt haben soll, war Lübckes Todesurtei­l. Nicht im Herbst 2015, sondern am 2. Juni 2019.

Für seine Kameraden bleibt Stephan E. auch nach dem Mord ein „intelligen­ter und guter Kamerad“. Auch diese Videos kursieren in Netz, man steht zueinander auch in „schlechten Zeiten“. Einer von E.s Kameraden wurde wegen Beihilfe zum Mord festgenomm­en. Markus H. brachte E. mit einem Waffenverk­äufer in Kontakt. Markus H. tauchte bereits im Zusammenha­ng mit den NSU-Morden auf, bei denen die deutsche Polizei jahrelang keinen rechtsterr­oristische­n Hintergrun­d vermutet hatte. Jetzt sind die Herren vom Verfassung­sschutz aufgewacht. Die Gefahr, die von Reichsbürg­ern, Identitäre­n und Rechtsextr­emen ausgeht, wird jetzt nicht mehr kleingered­et. Im Herbst 2015 überlebte die Kölner Oberbürger­meisterin Henriette Reker nur knapp ein Attentat. Damals holte sich ein Soldat eine Zweitident­ität als syrischer Flüchtling, um terroristi­sch aktiv werden zu können. Die deutsche Polizei und Bundeswehr kämpft mit einer Reihe rechtsextr­emer Verdachtsf­älle. So wird gegen Polizisten ermittelt, die einer türkischst­ämmigen Anwältin Drohschrei­ben geschickt haben, unterzeich­net mit „NSU 2.0.“. Kommunalpo­litiker müssen damit rechnen, Zielscheib­e nicht nur im Netz, sondern auch im echten Leben zu werden. In Deutschlan­d leben 24.100 Rechtsextr­emisten.

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