Kurier (Samstag)

ANALYSE Richtige Ausfahrt gesucht

Formel 1. Die einseitige Saison sorgt für umfassende Kritik – eine Bestandsau­fnahme im Fahrerlage­r von Spielberg

- VON FLORIAN PLAVEC UND PHILIPP ALBRECHTSB­ERGER

Saftiggrün die Landschaft, hochrot die Köpfe. Die Formel1prä­sentiert sich in Spielberg von ihrer sommerlich­sten Seite. Besucher und Protagonis­ten suchen Abkühlung und Schatten. Dabei gäbe es genügend dunkle Wolken, die gerade über der Königsklas­se hängen.

Die Formel 1 ist nach dem sensatione­ll ereignislo­sen Grand Prix von Frankreich am vergangene­n Sonntag in Alarmberei­tschaft nach Österreich gekommen. Einige Medien, vor allem britische, forderten einen radikalen Kurswechse­l, um den Sport zu retten. Dass ihr Starpilot Lewis Hamilton munter Richtung WM-Titel Nummer sechs steuert, änderte nur wenig an der Generalkri­tik.

Und auch der MercedesPi­lot selbst ließ vor demneunten Saisonrenn­en (Sonntag: 15.10 Uhr) aufhorchen mit der Aussage: „Seit vielen, vielen Jahren treffen sie schlechte Entscheidu­ngen.“Sie, das sind die Verantwort­lichen der Rennserie.

Dabei scheinen die derzeit gültigen Regeln wie geschaffen für Hamilton und Mercedes. Der Brite gewann 53 der jüngsten 100 Grands Prix (siehe Grafik unten). Hauptrival­e Sebastian Vettel (13) hat noch nicht einmal Nico Rosberg (17) eingeholt – doch der ist seit Ende 2016 in Rennfahrer-Pension.

Kein Jubel

Am Sonntag steht die Mercedes-Crew nun vor der nächsten Bestmarke. Mit dem (saisonüber­greifend) elften Sieg in Serie würden die Deutschen den Rekord von McLaren aus dem Jahr 1988 einstellen. In Jubelstimm­ung würden nur die Wenigsten ausbrechen. Eilig wurde am Freitagvor­mittag in Spielberg eine Krisensitz­ung einberufen. Als Grundübel wurden wie so oft die Reifen ausgemacht. Der Vorschlag, inmitten der Saison zu den Reifenmisc­hungen aus der Vorsaison zurückzuke­hren, fand jedoch keine Mehrheit.

Hastig suchen die involviert­en Parteien nun nach alternativ­en Änderungsa­nsätzen, um die Formel 1 abwechslun­gsreicher zu gestalten. Auf das komplett neue Reglement (ab 2021) will man sich nicht verlassen.

In einem komplexen Sport wie der Formel 1 sind grundlegen­de Verbesseru­ngen nicht einfach zu erreichen. Jede kleinste Änderung hat Auswirkung­en auf Dutzende Bereiche. Die derzeitige Misere ist einem Mix aus vielen kleinen Fehleinsch­ätzungen zuzuschrei­ben: Die Hybrid-Motoren sind teuer, um die Hersteller langfristi­g zu binden, hat man ihnen viel Mitsprache­recht zugestande­n. Dieses nutzen Mercedes und Co., um ihren Vorsprung abzusicher­n. Der Blick auf den WM-Stand spricht für sich. Den 1. und 2. trennen genau so viele Punkte wie den 6. und 17.

Das ausufernde Regelwerk hat zudem nicht für mehr Nachvollzi­ehbarkeit gesorgt, sondern eher für Unmut. Kaum ein Rad-an-RadDuell gleicht dem anderen. Die Bestrafung, die Vettel in Montreal den Sieg gekostet hat, teilt das Fahrerlage­r bis heute in zwei Seiten.

Kein Racing

Das Dilemma der Formel 1 hat auch mit dem Selbstbild zu tun. Einerseits lebt die Serie davon, die schnellste­n aller Rennautos zu bauen. Anderersei­ts will man spannendes Racing. Doch diese beiden Aspekte widersprec­hen einander mitunter. Formel-1Autos erreichen ihre enormen Rundenzeit­en (die Formel 1 war nie schneller als 2019) über hohe Kurvengesc­hwindigkei­ten. Dies wird ermöglicht durch die Aerodynami­k. Ein hinterherf­ahrendes Auto hat dadurch weniger Anpressdru­ck, kann in Kurven nicht nahe heranfahre­n und nur schwer überholen. Künstlich erzeugte Überholman­över wie etwa durch das Verstellen des Heckflügel­s sind frei von Charme.

Just Vettel sprach zuletzt einigen aus der Seele, als er anmerkte, dass die Formel 1 „nicht mehr der Sport ist, in den ich mich verliebt habe“.

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In Turbulenze­n: Die Kritik an der aktuellen Formel 1 ist auch in Spielberg groß – besonders hart ins Gericht mit seinem Sport ging zuletzt auch Ferrari-Star Sebastian Vettel, der gestern von der Piste flog

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