INTERVIEW
„Man kann nicht sagen, dass früher alles besser war und heute alles schlechter ist. Was sich aber für Kinder und Jugendliche verstärkt hat, ist der Druck, möglichst früh erwachsen zu werden.“Das sagt der Kinder- und Jugendpsychiater Andreas Karwautz von der Uni-Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie der MedUni/AKH Wien. Er ist Präsident des Europäischen Kongresses für Kinderund Jugendpsychiatrie (ESCAP) ab Sonntag in Wien.
KURIER: Ist es für Kinder und Jugendliche heute schwieriger, erwachsen zu werden als vor 20, 30 Jahren? Andreas Karwautz:
Sie werden heute früher in soziale Rollen geschoben. Der Druck, möglichst früh erwachsen zu sein, früher weiblich oder männlich zu sein, Rollenbilder zu erfüllen, ist heute höher. Das heißt aber nicht, dass sie das auch tatsächlich sind. Die Diskrepanz zwischen dem, was man sein soll – bzw. was einem die Gruppe Gleichaltriger suggeriert, etwa bezüglich Kleidung und Aussehen – und dem, was sie sind, wird größer. Heute werden viele Jugendliche tendenziell sogar etwas später erwachsen als vor 20 Jahren, ziehen nicht schon mit 18 aus, sondern führen erst einige Jahre später ein selbstständiges Leben.
Welche Rolle spielen dabei die sozialen Medien?
Ich hatte kürzlich eine junge Patientin mit einer schweren Essstörung, die sich – auch als Konsequenz ihrer Erkrankung – von allen sozialen Medien wie Instagram oder Facebook abgemeldet hat. Die ständigen Nachrichten, darunter nicht nur Lob, sondern auch viel kränkende Kritik bezüglich des Aussehens – das war ihr zu viel. Früher ist die Sozialisierung Jugendlicher großteils über direkte Kontakte abgelaufen. Emotionen konnten ausgesprochen werden. Jetzt werden in Nachrichten rasch zwei, drei Halbsätze hin