Kurier (Samstag)

INTERVIEW

- VON ERNST MAURITZ

„Man kann nicht sagen, dass früher alles besser war und heute alles schlechter ist. Was sich aber für Kinder und Jugendlich­e verstärkt hat, ist der Druck, möglichst früh erwachsen zu werden.“Das sagt der Kinder- und Jugendpsyc­hiater Andreas Karwautz von der Uni-Klinik für Kinder- und Jugendpsyc­hiatrie der MedUni/AKH Wien. Er ist Präsident des Europäisch­en Kongresses für Kinderund Jugendpsyc­hiatrie (ESCAP) ab Sonntag in Wien.

KURIER: Ist es für Kinder und Jugendlich­e heute schwierige­r, erwachsen zu werden als vor 20, 30 Jahren? Andreas Karwautz:

Sie werden heute früher in soziale Rollen geschoben. Der Druck, möglichst früh erwachsen zu sein, früher weiblich oder männlich zu sein, Rollenbild­er zu erfüllen, ist heute höher. Das heißt aber nicht, dass sie das auch tatsächlic­h sind. Die Diskrepanz zwischen dem, was man sein soll – bzw. was einem die Gruppe Gleichaltr­iger suggeriert, etwa bezüglich Kleidung und Aussehen – und dem, was sie sind, wird größer. Heute werden viele Jugendlich­e tendenziel­l sogar etwas später erwachsen als vor 20 Jahren, ziehen nicht schon mit 18 aus, sondern führen erst einige Jahre später ein selbststän­diges Leben.

Welche Rolle spielen dabei die sozialen Medien?

Ich hatte kürzlich eine junge Patientin mit einer schweren Essstörung, die sich – auch als Konsequenz ihrer Erkrankung – von allen sozialen Medien wie Instagram oder Facebook abgemeldet hat. Die ständigen Nachrichte­n, darunter nicht nur Lob, sondern auch viel kränkende Kritik bezüglich des Aussehens – das war ihr zu viel. Früher ist die Sozialisie­rung Jugendlich­er großteils über direkte Kontakte abgelaufen. Emotionen konnten ausgesproc­hen werden. Jetzt werden in Nachrichte­n rasch zwei, drei Halbsätze hin

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Jugendpsyc­hiater Andreas Karwautz ist Präsident des Kongresses

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