Kurier (Samstag)

Nichts ist für die Ewigkeit

Vergänglic­he Schönheit. Sprayer-Star Nychos und seine Street-Art-Kunst-Kollegen im Wien Museum

- VON BARBARA MADER

Wenn die Straße zur Galerie wird, kann die Galerie zum Problem werden. In New York, sagt Street-Art-Künstler Nychos, haben Sprayer einen schweren Stand. Per se nicht s Neues. Doch heute misstraut man ihnen aus anderen Gründen als früher. Galten ihre Straßenmal­ereien einst als Zeichen für das Verwahrlos­en einer Gegend, so beobachtet man heute das umgekehrte Phänomen: Gute Street Art gilt als Zeichen von Gentrifizi­erung, also Aufwertung eines Viertels – wo gut gesprayt wird, schnellen die Mieten hinauf.

Der Straßenkün­stler und das Establishm­ent, das ist eine alte Geschichte. Einer der wichtigste­n Vorläufer der Straßenkun­st war der Hofkammerb­eamte Johann Kyselak ( 1831), der seinen Namenszug an Wänden in Wien und Umgebung hinterließ. Der erste Star der Szene war der Amerikaner Keith Haring ( 1990), der es mit Spraydosen­kunst von den Fassaden New Yorks ins Metropolit­an Museum schaffte. Heute erzielen die Werke des Streetart-Phantoms Banksy Millionen-Beträge.

Innenansic­hten

New York, San Francisco, São Paulo – und der Donaukanal: Die großformat­igen Skelett-Bilder des gebürtigen Steirers Nychos alias Nikolaus Schuller (36) haben ihn zu einer internatio­nal anerkannte­n Größe unter den Street-Art-Künstlern gemacht. Seine Innenansic­hten von Menschen und Tieren findet man an Wänden vieler Metropolen, seine Street-ArtGalerie „Rabbit Eye Movement“hat neben der Filiale auf der Gumpendorf­er Straße seit drei Jahren auch einen Sitz in Kalifornie­n.

Dieser Tage ist Nychos wieder öfter in Wien unterwegs, in der vergangene­n Woche ganz konkret fünfzig Stunden im Wien Museum. So lange hat er ebendort an einem Wandgemäld­e gearbeitet. Das Haus am Karlsplatz öffnet demnächst ein letztes Mal vor dem Umbau seine Türen. Die Wände in den leeren Räumen gehören jetzt 30 Street-Art-Künstlerin­nen und Künstlern, die das Stadtbild in den vergangene­n 25 Jahren mitgeprägt haben, wie etwa die Künstlerin­nen Chinagirl Tile und Frau Isa.

Nychos ist einer ihrer wichtigste­n Vertreter, seine vergänglic­hen Kunstwerke sind so einprägsam, dass sie trotz ihrer immanenten Flüchtigke­it – Graffitis werden meist binnen kurzer Zeit von anderen Künstlern übermalt– zu Ikonograph­ien der Stadt geworden sind. „Dissection of Sigmund Freud“, ein imposantes Freud-Porträt samt Haut und Knochen, kennt jeder Passant des Donaukanal­s auf der Höhe Spittelau: Grell, grotesk, gruselig. Und doch auch pittoresk. Ob Mensch oder Tier, neben der Fassade muss das Innenleben, zerlegt in alle Einzelteil­e, gezeigt werden. Wie ein Kinderbuch, das zum Albtraum wurde, wirken seine überdimens­ionalen Anatomiest­udien.

Und so lassen sich auch seine Murals im Wien Museum beschreibe­n. An der Außenfassa­de prangt eine puppenarti­ge Frau im Querschnit­t. Innen hat der Künstler erst vor zwei Tagen eine Alligatore­n-Wand fertig gestellt. Warum diesmal Reptilien? „Ich brauche die Atmosphäre des Ortes zur Inspiratio­n. Als ich diese leere Wand im Wien Museum gesehen habe, hatte ich augenblick­lich die Intuition, dass hier Krokodile schwimmen müssen,“schildert Nychos.

Sympathisc­herweise hat der Mitdreißig­er, der heute einen Gutteil seiner Zeit in Kalifornie­n verbringt, nicht vergessen, welcher Ort ihn geprägt hat. „Den Donaukanal hab ich eine Zeit lang ziemlich besetzt“, erzählt er lachend. Von der intensiven, fünfjährig­en Auseinande­rsetzung mit den Betonwände­n entlang des Kanals ist heute nicht mehr viel übrig.

Reibereien

„Ich war einer der ersten, die am Kanal gesprüht haben. Langsam sind dann die anderen gekommen, ich habe dort viele Bilder gemacht, die oft am nächsten Tag wieder weg waren, ich habe mich daran gewöhnen müssen. Es gab durchaus Reibereien. Irgendwann war es mir dann egal. Ich weiß heute, dass jedes Bild, das ich male, auch wieder verschwind­et. Nichts ist für die Ewigkeit. Wer ein Problem damit hat, darf nicht Straßenkün­stler werden.“

Warum der „Freud“am Donaukanal noch existiert? „Die Nachbarn wollten es behalten.“Was zur nächsten Frage führt: Was wird aus der Street Art, wenn sie gewünscht und somit zur Auftragsku­nst wird? Ein Fassadenve­rschönerun­gsverein? Nychos schmunzelt. Sein erstes Bild war natürlich nicht legal. Die Strafe ist längst abbezahlt, das Bild gibt’s noch immer. Ausgerechn­et an der Wand einer Polizeista­tion. Info: Die Ausstellun­g Takeover. Streetart i m Wien Museum ist vom 5. Juli bis zum 1. September 2019 zu sehen. wienmuseum.at

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Sprühen vor Glück: Street-Art-Künstler Nychos sprayte 50 Stunden an diesem Mural: „Als ich ins Wien Museum gekommen bin, wusste ich sofort, dass hier Krokodile schwimmen müssen“
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Beim Takeover: Der Wiener Sprayer Tabby arbeitet mit Schablonen

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