Kurier (Samstag)

„In die Knie gezwungen“

Griechenla­nd. Wegen der anhaltende­n Krise werden die Parlaments­wahlen wohl eine konservati­ve Wende bringen

- AUS ATHEN RODOTHEA SERALIDOU

Auf dem Syntagma-Platz vor dem griechisch­en Parlament herrscht reges Treiben: Pendler gehen hastig die Marmortrep­pen zur Athener Metro rauf und runter, junge Frauen in roten Kleidern verkaufen Prepaid-Karten, ein älterer Mann preist lauthals seine Glückslose an, Touristen machen Selfies vor dem Springbrun­nen. Mitten auf dem Platz – ein imposanter Wahlkampfs­tand der Regierungs­partei Syriza. Auf rotem und lilafarbig­em Hintergrun­d der Wahlslogan der linken Partei: „Jetzt entscheide­n wir über unsere Leben.“

Doch die meisten Menschen gehen desinteres­siert daran vorbei. So auch ein 36jährige Mann, der seinen Namen nicht nennen will: „Wie sollen wir über unsere Leben entscheide­n? Das ist doch ein Witz!“, sagt er und wischt sich eine Strähne seiner schulterla­ngen braunen Haare aus dem Gesicht. Kontrolle über ihr eigenes Leben hätten die Griechinne­n und Griechen seit Langem nicht mehr, sagt er. Die Krise gehe schließlic­h weiter.

„Ich war selbststän­dig, jetzt arbeite ich als Ausliefere­r, bringe den Leuten ihre Gyros-Pita nach Hause.“Dafür müsse er sein eigenes Motorrad benutzen. Der Stundenloh­n: Zwischen zweieinhal­b und vier Euro. Mehr sei in dieser Branche nicht drinnen. Davon leben könne man nicht. Bei der Frage, ob der Lohn brutto oder netto sei, lacht er. „Wir arbeiten fast alle schwarz. Die Arbeitgebe­r nutzen die hohe Arbeitslos­igkeit aus und stellen kaum jemanden richtig ein.“

Auch wenn es auf dem griechisch­en Arbeitsmar­kt besser aussieht als noch vor einigen Jahren, entspannt hat sich die Lage nur sehr langsam: Im Jahre 2013 hatte die Arbeitslos­igkeit in Griechenla­nd einen Rekord von 28 Prozent erreicht, heute liegt sie bei unter 20 Prozent, ist aber immer noch die höchste in der EU.

Die Enttäuschu­ng der Griechen spiegle sich gut im aktuellen Eurobarome­ter wider, sagt Filippa Hatzistavr­ou, Hochschulp­rofessorin und Forscherin beim Griechisch­en Institut für Europapoli­tik Eliamep. Fast 90 Prozent der Griechinne­n und Griechen seien der Auffassung, dass ihre Lebensqual­ität in den vergangene­n Jahren gesunken sei. Gleichzeit­ig schaue jeder zweite Grieche pessimisti­sch in die Zukunft.

Gerade dieser Pessimismu­s sei ein schockiere­ndes Ergebnis für ein Volk, das bisher zu den optimistis­chsten Völkern Europas gehörte, sagt Hatzistavr­ou. So ein breitfläch­iger Pessimismu­s sei bisher nur in nördlichen EU-Ländern zu finden gewesen und in diesen Ländern eher kulturell bedingt, so die Forscherin.

Absolute Mehrheit

Faktum ist: Die linke Regierungs­partei Syriza scheint das Vertrauen der Griechinne­n und Griechen verloren zu haben. Glaubt man den Umfragen, wird bei den Parlaments­wahlen vom kommenden Sonntag die konservati­ve Nea Dimokratia unter ihrem Chef Kyriakos Mitsotakis das Rennen machen. In einer aktuellen Umfrage des Meinungsfo­rschungsin­stituts Pulse etwa liegt sie mit 35 Prozent rund 8,5 Prozentpun­kte vor Syriza. Dank eines Bonus von 50 Sitzen, die das Wahlsystem vorsieht, könnte sie damit alleine regieren. An dritter Stelle kämen die Sozialiste­n, gefolgt von der Kommunisti­schen Partei und der rechtsradi­kalen Goldenen Morgenröte, die mit Umfragewer­ten von rund vier Prozent weitaus schwächer ist als in der Vergangenh­eit, es aber trotzdem knapp ins Parlament schaffen würde.

Einer, der sich einen Machtwechs­el sehnlichst wünscht, ist der 69-jährige Babis. Zwar sei schon unter der konservati­ven Regierung Samaras seine Rente gekürzt worden, aber Premier Tsipras habe ihm den Rest gegeben, sagt er. „Ich hatte früher 1.600 Euro Rente, konnte davon leben. Dann fingen die Kürzungen an. Unter Syriza wurden auch unsere Zusatzrent­en gestrichen. Bei mir waren das 450 Euro. Diese Kürzungen haben uns Rentner in die Knie gezwungen.“

Dass Alexis Tsipras noch kurz vor den Europawahl­en an die Rentner Extrageld verteilt hat und die Mehrwertst­euer auf Lebensmitt­el von 24 auf 13 Prozent gesenkt hat, hat Babis nicht beeindruck­t. Er sieht darin Kalkül. „So kurz vor der Europawahl waren das ganz klar Wahlgesche­nke. Hätte er diese Maßnahmen Monate vorher ergriffen, wäre das positiv. Jetzt hat das kaum jemanden überzeugt.“Außerdem sei es dreist von Tsipras und seiner Regierung das Geld „13. Monatsrent­e“zu nennen, fügt er noch hinzu, „denn eine ganze Rente waren die paar hundert Euro nicht.“

Die griechisch­en Parteien versuchen in ihrem Wahlkampf auch andere Themen ins Spiel zu bringen. Gerade die linke Syriza hofft, mit ihren Reformen in gesellscha­ftlichen Themen bei progressiv­en Griechen zu punkten: Sie macht die Einführung der eingetrage­nen Lebenspart­nerschaft für gleichgesc­hlechtlich­e Paare zum Thema eines ihrer Wahlkampfs­pots – und das neue Einbürgeru­ngsgesetz, nachdem zum ersten Mal Migranten zweiter Generation die griechisch­e Staatsbürg­erschaft bekommen.

Aufzugehen scheint aber dieser Versuch aber nicht. Die griechisch­en Wählerinne­n und Wähler interessie­rten nach so vielen Jahren der Wirtschaft­s- und Finanzkris­e eben vor allem finanziell­e Aspekte, so die Forscherin Filippa Hatzistavr­ou. Auch hätten die Griechinne­n und Griechen ideologisc­he Barrieren der Vergangenh­eit schon längst überwunden – ein Phänomen, das europaweit zu sehen sei.

Viele Wechselwäh­ler

„Die Wähler finden keine großen ideologisc­hen Unterschie­de zwischen den Parteien. Und sie können sich mit ihnen nicht mehr so stark identifizi­eren wie früher, wo manselbst Mitglied der Partei war und ein Parteibuch hatte.“Deshalb nehme auch die Zahl der Wechselwäh­ler zu. „Wer mit einer Partei nicht zufrieden ist, wählt das nächste Mal einfach eine andere.“

Deshalb sei es nicht verwunderl­ich, dass Menschen, die 2015 der linken Syriza an die Macht verholfen hatten, nun kein Problem damit hätten, der konservati­ven Opposition ihre Stimme zu geben. Auch die Partei „Diem25“von Janis Varoufakis, dem ehemaligen griechisch­en Finanzmini­ster, könnte es ins griechisch­e Parlament schaffen. Den Umfragen zufolge kommt sie auf 3,5 Prozent, ist damit sehr knapp an der benötigten Drei-Prozent-Hürde.

„Die Arbeitgebe­r nutzen die hohe Arbeitslos­igkeit aus und stellen kaum jemanden richtig ein.“Ein 36-jähriger Mann Stellt Essen „schwarz“zu

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Der linken Regierungs­partei Syriza unter Premier Tsipras (li.) droht kommenden Sonntag der Machtverlu­st. Konservati­ven-Chef Kyriakos Mitsotakis könnte die „Absolute“erobern
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